Deutsches Creepypasta Wiki
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"Womit habe ich das verdient?", fragte ich und kurz darauf, nahm er das Messer von meinem Hals.

"Eine gute Frage...", antwortete er nach einer Weile. Zuvor hatte er mich nur angestarrt, als wäre diese Frage eine Offenbarung gewesen.

"Eine wirklich gute Frage...", wiederholte er und fing an sich über dieses Thema auszulassen.

"Womit verdienen wir Menschen was wir bekommen, was uns widerfährt und wie wir leben? Wir werden in das Leben hineingeboren, ohne vorher gefragt zu werden und dann sollen wir unser Leben leben. Wir sind von Anfang an Sklaven der Umstände. Umstände wie unserer Herkunft, den Lebensstand unserer Eltern und der Zeit in der wir geboren werden. Im ersten Moment können wir dagegen wenig tun, wir sind klein und wehrlos und unser Schicksal hängt einzig und allein von den Umständen ab. Kümmern sich meine Eltern um mich? Können sie das überhaupt? Leben sie vielleicht gar nicht lange genug um dieser Aufgabe nach zu kommen? Oder habe ich eine tödliche Krankheit, die mein Leben schon im Keim erstickt und gar nicht erst zulässt, dass ich erfahre was es heißt zu leben? Sollten wir überleben, haben wir irgendwann unser Leben selbst in der Hand, sind nicht mehr angewiesen auf andere. Nun ja, zumindest machen wir uns das gerne vor, nicht wahr? Du solltest das gerade ganz gut bestätigen können, ich meine in diesem Moment, halte ich dein Leben in Händen. Du lebst einzig und allein noch, weil ich dich leben lasse... so viel dazu, wir haben unser Leben in der Hand. Wir sind weiterhin Sklaven der Umstände. Welche Schule suchen unsere Eltern - oder die Menschen die für uns zuständig sind - für uns aus, bin ich als Mensch geboren dem alles zu Füßen fällt und brauche mich um nichts zu sorgen, da mich eine glückliche Zukunft erwartet, oder komme ich aus armen Verhältnissen und habe das Pech einfach nur dumm zu sein? Was nicht heißen soll, dass es nicht auch andersherum sein kann. So oder so aber, entscheidet auch dies über den weiteren Verlauf unseres Lebens. Wo arbeiten wir und in welcher Position, arbeiten wir überhaupt? Und wenn wir nicht gerade vorher durch weitere Umstände sterben, werden wir irgendwann alt und grau. Haben vielleicht ein glückliches Leben gehabt, vielleicht ein beschissenes, meistens vermutlich eine Mischung aus Beidem, aber das ist natürlich auch immer eine Frage der Perspektive. Was für den einen schon als reinster Albtraum gilt, mag für den anderen alltäglich sein. Die Frage dahinter bleibt aber immer noch unbeantwortet, womit haben wir all das verdient? Womit haben wir es verdient Sklaven zu sein? Womit hast du es verdient auf mich gestoßen zu sein?

Was heißt eigentlich verdienen? Viele Menschen wären der Meinung, ein Kinderschänder verdiene den Tod, aber hat schon mal jemand darüber nachgedacht ob er vielleicht Familie hat? Hat seine Tochter - die er nie angerührt hat - es verdient ohne Vater aufzuwachsen, nur weil andere der Meinung waren ihm das Leben nehmen zu müssen? Haben Millionen "Unschuldige" aus diversen Kriegen den Tod verdient? Vielleicht nicht, aber die Verantwortlichen hat das nicht gekümmert. Hat ein guter Mensch, der für alle immer nur das Beste will, sein Glück verdient; während neben ihm ein ähnlicher Mensch am Dreck seiner Mitmenschen erstickt?

Welche Instanz steht da über uns und richtet über unser Schicksal? Ist es Gott? Wenn ich sage, ich töte dich jetzt, weil du es verdient hast, spricht dann Gott aus mir, der dich für deine Sünden strafen möchte? Aber wenn es so ist, warum straft er auch dann die, die nie etwas getan haben und verschont die, die nur Leid zufügen. Warum richtet er hin und wieder doch die "Bösen" und wer klassifiziert eigentlich was böse und falsch ist und was nicht?

Nein, ich glaube nicht das Gott dafür verantwortlich ist, sofern er denn überhaupt existiert. Wir Menschen sind es, die über uns richten. Wo wir zu der Frage kommen, womit die Menschheit im Allgemeinen überhaupt verdient hat zu leben. Wir führen Kriege, wir zerstören unseren Planeten, wir sind also eigentlich genau das, womit wir "Böse" über die Jahrhunderte hinweg definiert haben. Wenn man nun aber die gesamte Menschheit auslöschen wollte, gäbe es sicher wieder einige Stimmen die sagen: "Nein, wir können doch nicht alle über einen Kamm scheren! Nicht alle sind schlecht." Und so beginnt das Differenzieren wieder. Wer hat es verdient zu sterben und wer nicht?

Weißt du was? Es gibt keine Antwort. Wir Menschen richten über uns selbst. Jeder über sich selbst und seine Mitmenschen. Ich sage über mich selbst, ich hätte für meinen Taten den Tod verdient, aber er kommt mich nicht holen, das ist mein Glück. Ich sage du verdienst den Tod, einfach weil du das Pech hattest mir über den Weg zu laufen." Er zuckte mit den Schultern. "Wer etwas verdient hat und was nicht, ist immer von dem Menschen und seiner Ansicht abhängig. Es ist abhängig von den Umständen, die ihn zu dem gemacht haben, was er heute ist und in Zukunft sein wird. Was ihm widerfährt, hängt von der Ansicht anderer und deren Umständen ab, deren Ansicht von Gerechtigkeit, deren Ansicht davon, wer was verdient und was nicht.

Das Kollektiv Mensch, lebt und stirbt in Abhängigkeit von sich selbst, so einfach ist das und nun geh. Ich habe soeben entschieden, dass du aufgrund dieser interessanten Frage, eine Chance verdienst."

Der Mann erhob sich und entfernte sich von mir. Er drehte sich um und sah aus dem Fenster des leer stehenden Gebäudes. "Ich sage es kein zweites Mal. Du darfst gehen und das solltest du jetzt auch tun, bevor ich entscheide dass du den Tod doch verdienst."

Plötzlich hörte ich eine laute Stimme: "Mach weiter, ich glaube er kommt zurück!" In diesem Moment riss ich die Augen auf und schnappte nach Luft. Gleißendes Licht, blendete mich und ich hörte dieselbe Stimme von eben erneut, nur leiser: "Oh Gott sei Dank."

"Nein, Gott hat damit nichts zu tun", flüsterte ich und sah zu der Schwester, die neben dem Arzt stand und mich verständnislos ansah. "Das Kollektiv Mensch hat entschieden, das ich das Leben verdiene."

Dank einem Gespräch, das ich gerade eben erst geführt habe, bin ich auf diese Idee gekommen. Auch wenn der Schluss, mir erst während des Schreibens in den Sinn kam.

Nathaniel Simon Laval

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