Deutsches Creepypasta Wiki
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An mir rauschte die Welt vorbei. Die Lichtspiegelungen tanzten auf der Fensterscheibe vor meinen Augen. Ich schaute wieder zu meiner Mutter. Sie saß neben mir und streichelte über meine Haare. „Wir sind bald da, Alfons.“, sie lächelte. Ich bewunderte sie. Nie hatte ich einen liebenswerteren Menschen getroffen. Ihre wunderschönen grünen Augen leuchteten mich an. Ihre dunklen Haare strichen über meine Schulter, während ihr rechter Arm um mich gelegt war. Ich lächelte zurück. „Können wir Lebkuchen kaufen? Und gebrannte Mandeln, Mami?“, fragte ich. „Klar. Wollen wir Oma auch mal wieder ein Lebkuchenherz mitbringen?“, entgegnete sie. „Oh ja! Die wird sich freuen!“, rief ich laut vor Freude aus. Fast alle anderen Fahrgäste im Bus drehten sich zu uns um. Ich verstummte schnell.

Es war schon relativ spät. Oder jedenfalls für einen Siebenjährigen spät. Draußen war es schon dunkel und meine Vorfreude wuchs. Die ganze Woche lang hatte ich mich schon auf diesen Abend gefreut: Meine Mutter und ich gingen auf den Weihnachtsmarkt! Ich liebte die Weihnachtszeit. Das Leuchten der Lichter und die Wärme, die sie in dieser kalten Jahreszeit ausstrahlten. Noch zwei Stationen lang dauerte es, dann stiegen wir aus. Die kalte Nachtluft empfing uns und ich war froh, gut in meine warme Jacke „eingepackt“ zu sein. Wir gingen einige Meter und dann konnten wir den Weihnachtsmarkt erkennen. Er strahlte eine wunderbare Aura aus. Weihnachtliche Lieder erklangen, wohlbekannte Düfte stiegen uns in die Nase und ich musste lachen. Ich wollte losrennen, aber meine Mutter hielt mich zurück: „Alfons, nicht wegrennen! Wir müssen zusammen bleiben. Wenn wir uns verlieren, dann treffen wir uns am Brunnen. In Ordnung?“ „Ja.“, sagte ich.

Wir gingen weiter und erreichten die ersten Stände. Wir kamen an einem „Naschgeschäft“ vorbei und meine Mutter kaufte mir eine große Tüte mit gebrannten Mandeln. Sicher kennst du ihren süßen, unverwechselbaren Geschmack, den ich viel zu selten schmecken konnte, daher machte ich mich hastig über die Tüte her. Regelmäßig wanderten die kleinen goldbraunen Steinfrüchte in meinen Mund, während wir uns einen Weg durch die Menschenmassen bahnten. Nach einigen weiteren kleinen Einkäufen wollte meine Mutter noch schnell den Lebkuchen kaufen. „Bleib kurz hier stehen, bitte. Ich bin sofort wieder da.“, trug sie mir auf. Schnell schritt sie zum kleinen Laden und verhandelte mit der Besitzerin. Ich hasste Warten und so sah ich mich um. Da sah ich etwas, das mein Interesse weckte. War da nicht eben etwas hinter einigen Kisten vorbeigehuscht? Ich stellte die Tüte mit Mandeln auf die Bank, neben der ich stand, und lief dem Etwas hinterher.

Dort! Vor mir sah ich es wieder. Es drehte sich um. Das Gesicht eines alten Mannes sah mich an. Seltsam blass leuchtete es mir beinahe sogar entgegen. Ich bekam Angst. Ich wollte hier weg, weg von diesem Mann und so rannte ich in die entgegengesetzte Richtung. Ich bog in eine Gasse ab und durchquerte sie. Auf der anderen Seite angekommen erreichte ich eine große Straße. Sie war menschenleer. Ich versuchte verzweifelt den Weg zurück zur meiner Mutter zu finden. Vergeblich. Ich wurde langsamer und sah mich um. Die Schneeflocken fielen um mich herum zu Boden. Spielerisch leicht tanzten sie vom Himmel. Ich war ganz außer Atem und kniete mich in den Schnee. Ein erholsames Gefühl erfüllte meinen Körper. Ich blieb einige Minuten lang knien und beobachtete den Tanz. Das Licht wurde schwächer. Der Schnee leuchtete umso mehr.

So setzte ich meine Versuche fort, den Markt wiederzufinden, den Brunnen zu erreichen. Haus um Haus, Gasse um Gasse ließ ich hinter mir. Je weiter ich in die „Eingeweide“ der Stadt vorstieß, desto mehr überkam mich eine unheimlich Freude, die meine Angst immer mehr überschattete. Meine Füße drückten sich in die weiße Decke, die sich über der Stadt ausgebreitet hatte. Glücklich lief und lief ich und lauschte dem leisen Gesang der Engel. Ja, es mussten Engel sein, wer sonst könnte so schön singen. Immer schwächer wurde leuchteten die Laternen in den Straßen und der Schnee verwandelte sich in einen weißen Fluss, der mich mit sich zog. Er trieb mich behutsam und geschmeidig durch die Stadt. Ich genoss es.

Dann kam mir eine tolle Idee: Ich wollte mich ganz dem Fluss hingeben. Langsam ließ ich mich in den Schnee sinken und streckte die Arme und Beine vom Körper weg. Die Kühle streichelte mich. Fröhlich wälzte ich mich im Schnee, malte Schneeengel spielte mit den tanzenden Flöckchen. Als ich lange im Fluss gebadet hatte, blieb ich entspannt liegen. Eine nie gekannte Müdigkeit ergriff mich und der Schnee hörte auf zu leuchten. Ich konnte mich kaum noch bewegen. Die Schneeflocken, die sich auf mich herabsenkten, konnte ich nicht mehr spüren. Der Gesang der Engel war verstummt. Die Entspannung wuchs und nie fühlte ich mich glücklicher. Ich schloss die Augen. Die ewige Dunkelheit empfing mich mit weit ausgebreiteten Armen. Bereitwillig ließ ich mich auffangen und glitt in sie hinein. Das Lächeln meiner Mutter war das letzte aus dieser Welt, an das ich dachte, danach regierte die Dunkelheit…

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