Deutsches Creepypasta Wiki
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Wer Lust darauf hat eine kleine Geschichte zu lesen, die aber thematisch absolut nicht in den Bereich "Creepy" passt:

Stille Wasser sind tief. Ein Sinnspruch, ein Aphorismus, der auf versteckte Gefahren hindeutet. Gefahren, die das Auge nicht sieht. Doch wenn die See ruhig ist, dann vermag das Auge doch zu erahnen, was sich dort befindet. So funkelnd auch der Wasserspiegel im Sonnenlicht scheinen mag, so faszinierend, gar glückselig, fast heilig; etwas, das den Eindruck macht man wäre im Paradies, so sehr lenkt es nur von der Dunkelheit ab, die sich direkt darunter verbirgt; denn je tiefer man ins Wasser sieht, desto mehr nimmt man die Schwärze der See wahr, die unergründeten, finsteren Tiefen, deren alleinige Vorstellung dich in einen Schlund aus Ungewissheit reißen können. Ja, keiner weiß, was sich dort unten alles verbergen mag. Stille Wasser sind tief, sehr tief. Doch manchmal ist es andersrum. Manchmal sind die stillen Wasser nicht nur tief, sondern auch stürmisch, doch ihre Gefahr verschleiert durch glitzernde Horizonte und einen Ozean, dessen Gemüt man nur durch das leise Säuseln der Wellen zu vernehmen vermag, wenn sie gegen die kleinen Steine des Strandes schlagen und sie für kurze Weile unter sich begraben, bevor die Wellen sich wieder dahin begeben wo sie herkamen und das Wasser die Steine wieder dem Himmel schenkt. Der Ozean, der so anmutig und sanft wirken kann, doch in dessen Untiefen Stürme alles Lebendige aus dem Leben reißen können, näherte man sich ihnen unbedacht.

Aus diesem Gedanken gerissen, schreckte ich auf. Ich war immer noch hier, wo ich mich seit den letzten paar Stunden aufhielt, ohne mich zu bewegen; die Beine schienen bereits taub zu sein, von der ewig gleichen Sitzposition und die Knie lechzen bereits danach wieder durchgestreckt werden zu können, mein restlicher Körper nach irgendeiner Form der Bewegung. Mein Rücken schien beleidigt und die letzte Rast war schon einige Stunden her. Mein Kopf lehnte an der kalten Scheibe des Busses, in dem ich mich befand. Beinahe wie eisiges Metall fühlte es sich an; die Kälte schien sich in meinen Skalp zu fressen und mein Gehirn zu vereisen. Während wir fuhren, zogen wir an den Beleuchtungen der Laternen vorbei, die die Autobahn erhellten. Streifen aus künstlichem, gelbem Licht glitten kontinuierlich durch den Bus und erhellten kurzzeitig die Gesichter der paar anderen, die noch mit mir dort waren. Sechs oder sieben waren es, glaube ich. Ich wollte mich nicht umdrehen um nachzusehen. Zu ermüdet waren Glieder und Geist vom ewigen Verharren in dieser Position. Ich hörte das stete Geräusch des Motors irgendwo in der Ferne und sah, wie der Horizont vor dem Fenster an mir vorbeiglitt. Schwarze, unheimliche Silhouetten aus Büschen und Bäumen, die da vorbeizogen; die Sonne war schon lange hinter den Hügeln in der Ferne verschwunden. Unwillkürlich fragte ich mich, was wohl jemand empfand, der nicht gerade in diesem abgeschlossenen Vehikel säße, sicher und geborgen. Jemand, der da draußen war, in den Büschen und Wäldern, den Äckern und Feldern. Die Nervosität beflügelte meine Fantasie regelrecht. Vereinzelt zogen ein paar metallene Pfosten an uns vorbei, auf denen Schilder befestigt waren, die den Fahrer zu seinem Ziel lotsen sollten. Mein Ziel war klar aber trotzdem kam ich nicht umhin, immer wieder zu lesen, wohin uns diese Schilder denn diktierten, obwohl ich es schon wusste. Zuletzt waren wir in Darmstadt, nun befanden wir uns auf dem Weg über die Hessische Grenze nach Baden-Württemberg. Meinen Ankunftsort konnte ich in immer wieder kehrenden Abständen lesen. Zehn Kilometer. Fünf Kilometer. Zwei Kilometer. Ein paar Hundert Meter. Meine Finger glitten über den billigen Polyesterstoff des leeren Sitzes neben mir; die Struktur zu fühlen lenkte mich von dem in meine Hose rutschenden Herz ab, als ich dem Ziel immer näherkam. Ich war freiwillig auf diesem Weg doch fühlte es sich nun an, als würde ich Zerberus Tor durchqueren. Die Selbstzweifel zerfraßen mein Gehirn. Tausende und abertausende Szenarien durchfuhren meinen Kopf und ich fühlte mich dabei als hätte ich verdorbenen Fisch gegessen. Bald würde der Bus in den Hauptbahnhof einlaufen. Würde sie schon dort sein? Würde sie mich sofort sehen? Im Bruchteil einer Sekunde rasten mir diese Gedanken durch den Kopf und ich überlegte mir geradezu auf infantile Weise, wie ich mich denn geben wollte, wenn ich den Bus verlassen würde. Immerhin war ich hier allein. Ich kannte niemanden. Ich kannte nichts. Ich war über 800 Kilometer von Zuhause weg, doch gerade dieser Gedanke gab mir neuen Antrieb. Ich war jetzt hier, was sollte Schlimmes passieren? Und immerhin kannten wir uns doch, sie würde mich schon nicht im Stich lassen.

Immer wieder hörte man leises Hüsteln oder Flüstern der anderen Fahrgäste, die ebenfalls mit mir an dieser Station aussteigen wollten; es war die letzte. Der Bus verließ die Autobahn und wandte sich durch unzählige Straßen dieser beschaulichen Stadt, die direkt nach der Abfahrt von der Autobahn zum Vorschein kam. Die Monotonie der Autobahn aus Gebüsch und Schildern verflüchtigte sich in nur wenigen Augenblicken. Als wäre ich plötzlich in einer anderen Welt fuhr der Bus durch die Straßen dieser Stadt. Um uns herum konnte ich die roten Bremslichter der Autos in der Dunkelheit durch die inzwischen von meinem Atem beschlagene Scheibe wahrnehmen, die das gemütliche Tempo des Busses überholten. Der Bus war im Zeitplan aber ich schien es nicht zu sein. Er wandte abermals und wir fuhren auf einer zweispurigen Straße durch zwei- bis maximal dreistöckige Häuserreihen und ein paar Geschäftslokalen, deren beleuchtete Reklametafeln die Dunkelheit durchschnitten, die sich bereits über dieses Örtchen gelegt hatte. Der Bus wandte abermals und drosselte langsam seine Geschwindigkeit. Mein Gesicht war gegen die eisige Scheibe gepresst und ich sah die grellen Lichter eines der noch halbwegs belebten Orte dieser Stadt zu dieser späten Stunde: die des Bahnhofes. Das Ziel. Langsam kam der Bus zum Stehen und die Lichter im Bus gingen an. Es fühlte sich an, als wäre ich aus dem Schlaf gerissen worden, obwohl ich die ganze Zeit wach war. Als wäre ich im Kino gesessen und die Lichter gingen nach dem Ende des Filmes an. Das war ein scheußlicher Moment, weil ich nun selbst etwas tun musste. Es war zwar ein tolles Gefühl nach der stundenlangen Fahrt endlich wieder die Beine ausstrecken zu können, doch hatte ich nun wirklich das Gefühl vor den Toren des Zerberus zu stehen. Irgendwo an dem Vehikel wurde die Luft herausgelassen, was ich mit einem pfeifenden Geräusch hörte, das sich durch den ganzen Bus zog, bevor sich die Türen ruckartig öffneten und der Busfahrer die Seitenteile des Fahrzeugs nach oben schob, hinter derer sich unser Gepäck während der Fahrt befand. Ich sah mich einmal kurz um und als die anderen letzten Fahrgäste sich erhoben, hievte auch ich meinen Körper nach oben und ging in Richtung des Ausgangs. Es war unklar, was mich erwarten würde, doch eines wusste ich: Endlich angekommen, fühlte es sich richtig an hier zu sein. Und ich würde es nie bereuen.

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