Deutsches Creepypasta Wiki
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Schüchtern schaue ich in die eisblauen Augen des älteren Mannes vor mir. „Sie haben die Beweislage gehört. Möchten sie sich dazu äußern?“ Die dunkle Stimme des Grauhaarigen verpasst mir eine Gänsehaut. Leise höre ich die Leute im Publikum reden. Mein Verteidiger neben mir flüstert mir irgendwas ins Ohr, doch ich kann nur in die eisblauen Augen des obersten Richters sehen. Seine buschigen Augenbrauen heben sich. „Also?“ Wieder diese dunkle Stimme. Diese Stimme, dich ich schon seit einigen Tagen hören muss, diese Stimme, die mir wieder und wieder etwas vorwirft. Etwas Schlimmes. Etwas, was sich nicht so zugetragen hat.

Langsam erhebe ich mich und streiche meinen schwarzen Anzug glatt. Schwarzer Anzug, schwarze Krawatte, wie auf einer Beerdigung. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie mein Anwalt langsam den Kopf schüttelt. Er glaubt nicht daran, dass ich noch eine Chance habe, aber der Richter wird es verstehen, wenn ich es ihm erkläre. „Ich will tats..“ Mein Hals tut weh, und ich räuspere mich. Dann beginne ich von neuem. „Ich will tatsächlich noch etwas sagen, euer Ehren. Diese Leute haben Wochen, Monate oder sogar Jahre gelitten. Sie waren gefangen in ihrer Welt aus Schmerz, Hass von Familie und Freunden und dem Wunsch, das alles hinter sich zu lassen. Ich frage sie: Ist es nicht erlaubt, diesen Menschen zu helfen? Ist es nicht erlaubt, ihnen dieses Leid zu nehmen?“ Als ich bemerke, wie kalt diese eisblauen Augen werden, setze ich mich schnell wieder auf meinen Stuhl.

Jetzt erhebt sich der Richter. Ich bemerke abermals, wie groß dieser Mann ist. Die schwarze Robe lässt ihn noch viel einschüchternder wirken. „Ich kann bei ihnen nur den Kopf schütteln!“ beginnt er. Wieder diese tiefe Stimme, wieder Gänsehaut am ganzen Körper. „Sie haben mindestens 9 Menschen getötet, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie wollten Gott spielen. Und jetzt stellen sie sich hier hin und versuchen mir rational zu erklären, warum sie das getan haben? Und dann erwarten sie noch, dass ich das verstehe? Sind sie noch bei Trost?“ Die letzten Worte schreit er mir entgegen. „Sie glauben doch nicht wirklich, dass sie damit durchkommen werden!“ Mein Verteidiger bedeckt seine Augen mit den Händen, er schüttelt den Kopf und seufzt schwer. Dann beginnt er resigniert, seine Dokumente zusammen zu packen. Er hat schon aufgegeben, doch bei mir regt sich noch der Widerstand. „Euer Ehren, ich bitte euch, versetzen sie sich doch mal in meine Situation.“ Der Richter schlägt mit der Faust auf den Tisch und brüllt: „Ruhe jetzt! Ich will nicht noch einmal ihre „Entschuldigung“ hören!“ Wie er das Wort „Entschuldigung“ sagt, lässt mich zusammenzucken. Er versteht es nicht. „Verzeihung, euer Ehren“ murmele ich geknickt und versinke in meinem Stuhl. Warum versteht er es nur nicht? „Das Gericht zieht sich zur Entscheidung zurück“ höre ich noch, dann fällt eine Tür krachend ins Schloss, und ich bleibe im Gerichtssaal zurück, die hassenden Blicke des Publikums in meinem Rücken.

Epilog[]

Gestern wurde Marius L., wegen der Farbe seiner Arbeitskleidung auch bekannt als „Der Blaue Engel“, zu lebenslanger Haft verurteilt. L. hatte als Pfleger im St.-Marry-Krankenhaus gearbeitet und dort mindestens 9 Menschen durch eine Überdosis Beruhigungsmittel getötet. Die Ermordeten waren schwer krank und teilweise schon sehr alt. Allerdings waren auch zwei krebskranke Kinder unter den Opfern. Als Motiv nannte L., dass er die Menschen „von ihren Leiden erlösen wollte.“ Nach der Verhandlung kam es zu unschönen Szenen, als das Publikum im Gerichtssaal aufgebracht den Verurteilten beschimpfte und teilweise sogar gewalttätig gegen ihn vorgehen wollte. Der Saal musste durch die Polizei geräumt werden…


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~~ Marconiac ~~

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