Deutsches Creepypasta Wiki
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Fass

“Ist das dein Ernst?” Ungläubig starre ich auf das, was da vor uns steht. Buck, Familienersatz und Partner bei jedem krummen Ding, sieht mich strahlend an. “Glaub mir, das ist perfekt! Niemand kontrolliert einen Lieferkarren richtig.” “Buck, das ist ein Fass! Und es stinkt.” Er verdreht die Augen.

“Gut erkannt, Sherlock. Falls ich dich daran erinnern muss: Cattles gesamte Bande sucht nach dir. Die Prämie auf deinen Kopf ist auf 50 Schilling gestiegen, und vom Vater allen Übels will ich gar nicht erst anfangen. Deine einzige Chance also, unbemerkt in das Haus zu kommen, ist: dieses stinkende Fass.”

Nein, daran erinnern muss er mich wirklich nicht. Eine Woche ist seit dieser Nacht, wie ich sie nur nenne, vergangen, und noch immer sitzt ein fieser, kleiner Klumpen in meinen Eingeweiden. Von dem höllischen Muskelkater und den Albträumen ganz zu schweigen. Die Tatsache, dass ich mein Versteck seit ein paar Tagen nicht mehr verlassen kann, hilft auch nicht wirklich. Zwar wissen Cattles Männer noch immer nicht, wie ich aussehe, aber unter den Gestalten in der Fleet Street machen schon Gerüchte die Runde. Gerüchte, in denen ich vorkomme. Und bei 50 Schilling, genug, um für mehrere Monate ausgesorgt zu haben, wird selbst das kleinste Gerücht zur Gewissheit.

„Schon gut, schon gut.“ Resigniert reibe ich mir den Nacken. „Und du bist sicher, dass wir in dieses Haus rein müssen?“ Buck verzieht in gespielter Empörung das Gesicht. „Denkst du, bei sowas irre ich mich? Du hast doch die Seite beschafft, du weißt genau, was drinsteht. Wir müssen da rein. Angesichts der Umstände würde ich es glatt selber machen, wenn…“ - „Wenn du nicht so eine Niete im Einbrechen wärst“, beende ich seinen Satz. Wir grinsen uns an.

Ich seufze. “Also schön. Da wir die Sache mit dem Transportmittel geklärt haben: Weißt du, wo ich suchen muss?” - “Irgendwo im ersten Stock. Vermutlich nicht gerade auf dem Präsentierteller.” Ein Safe also. Der würde wohl kein größeres Problem darstellen, ich kenne jeden gängigen Safe wie meine Westentasche. Aber beim bloßen Gedanken daran, wieder in ein Haus einzubrechen, wird mir mulmig. Sicher, das letzte Mal war etwas völlig anderes. Hoffentlich etwas Einmaliges. Und dennoch…

Buck reißt mich aus meinen trüben Gedanken. „Gut. Du machst dich ein wenig mit deinem neuen besten Freund vertraut, und ich kläre die letzten Kleinigkeiten mit dem Typ, der uns den Karren leiht.“ Ich sehe ihm leicht sehnsüchtig nach, als er geht. Wie gerne würde ich mal wieder über die Dächer streifen. Die kühle Nachtluft an meinem Gesicht spüren. Langsam fällt mir hier drin wirklich die Decke auf den Kopf.

Die nächste Stunde beschäftige ich mich damit, so schnell und leise wie möglich in das Fass rein und wieder hinaus zu klettern. Bald schaffe ich beides ohne einen Mucks. Auch wenn man mich vermutlich allein durch den Geruch entdecken könnte.

Ein Geräusch lässt mich aufschrecken. Buck stürmt durch den Eingang, sein Gesicht weiß wie ein Gespenst. Zitternd lehnt er sich gegen die Wand. Der Anblick lässt mir die Haare zu Berge stehen. Ungefähr so muss ich ausgesehen haben, als… Schnell schüttele ich den Gedanken ab und stürze auf ihn zu. „Buck! Was zum Teufel ist passiert?“ Er schließt die Augen. Atmet ein paarmal tief durch. Auf seiner Stirn glitzern Schweißtropfen. „Nur… nur ein paar von Cattles Halsabschneidern. Die nehmen da draußen gerade jeden in die Mangel. Ganz ehrlich, Wiesel. Was auch immer das für Dokumente waren, die du hast mitgehen lassen, er will sie wiederhaben.“ Ein ungutes Gefühl macht sich in mir breit. Irgendetwas stimmt nicht.

Gin

Beim Anblick von Bucks zitternden Händen, mit denen er sich gerade den Schweiß von der Stirn wischt, verbanne ich jeden Zweifel in die hinterste Ecke meines Verstandes. Sanft führe ich ihn zum Bett. Dann hole ich die Flasche Gin aus ihrem Versteck. Nach ein paar großen Schlucken ist er wieder fast der alte. „Sollen wir die ganze Sache nicht lieber abblasen? Wir könnten für eine Weile untertauchen, bis sich alles beruhigt hat.“ Er gibt die Antwort, auf die ich gehofft habe. Der alte Kampfgeist funkelt wieder in seinen Augen. „Spinnst du? Das ist unser Traum, seit wir uns kennen, und jetzt, wo wir kurz davor sind, es zu schaffen, lasse ich mich doch nicht von ein paar Halunken davon abhalten! Wir ziehen das durch.“ Wie jedes Mal steckt mich seine Aufregung an. Grinsend nehme ich ihm die Flasche aus der Hand. „Auf uns und ein Leben fernab von allem Problemen!“ Beim Ansetzen merke ich aus dem Augenwinkel, wie Bucks Lächeln erlischt und einer ernsten, fast traurigen Miene Platz macht. Fest entschlossen, es zu ignorieren, nehme ich einen großen Schluck.

 

Ich gehe über den Markt. Menschen drängen an mir vorbei, ohne mich zu beachten. Ladenbesitzer kündigen lautstark ihre Waren an. Der Duft von gebratenem Fleisch, frischem Brot und Leckereien liegt schwer in der Luft. Hunger wütet in meinen Eingeweiden. Meine letzte Mahlzeit ist Tage her. Wachsam halte ich Ausschau. Nach einer Gelegenheit.

Plötzlich ist etwas anders. Die Menge stockt. Eine unangenehme Stille breitet sich aus. Angst erfüllt die Luft. Der Hunger ist vergessen. Schnell verschwinde ich in einer Seitengasse. Beobachte aus dem Schatten heraus. Ein Mann betritt den Marktplatz. Großgewachsen. Schlank. Kurzes, schwarzes Haar. In einer Hand hält er einen eleganten Spazierstock. Lang und schlank, aus dunklem Holz. Der silberne Knauf ist mit goldenen Intarsien verziert. Die andere Hand steckt in der Tasche seines teuren Pelzmantels. Natürlich weiß ich, wer er ist. Jeder weiß das.

Samuel Stroke.

Ängstlich von Ohr zu Ohr geflüstert bewegt sich sein Name wie eine Krankheit durch die Gassen. Vor ein paar Jahren ist er plötzlich aufgetaucht. War im Handumdrehen der mächtigste Mann der Stadt. Es gibt kein Geschäft, an dem er nicht mitverdient. Ihm gehört die Polizei ebenso wie die Straßenbanden. Die Richter. Die Zuhälter. Die Händler und die Bettler. Jeder steht auf seiner Gehaltsliste. Wie er das gemacht hat, ist ein Rätsel. Mir jedenfalls. Zahllose Gerüchte kursieren über ihn und seine Methoden. Eines abstruser als das andere. Doch eine Sache ist in allen Gerüchten gleich. Leg dich nicht mit Samuel Stroke an!

Er überquert den Platz. Die Menge teilt sich vor ihm wie eine Herde Schafe. Keines von ihnen will die Aufmerksamkeit des Wolfes erregen.

Plötzlich verstellt ihm jemand den Weg. Ein Berg von einem Mann, so breit wie ein Ochse. Kenne ihn. Billy. Macht sich oft einen Spaß daraus, die Straßenkinder zu jagen. Sie zu Brei zu prügeln, sollte er sie erwischen. Anscheinend ist er sturzbetrunken. Er sagt etwas. Kann nicht verstehen, was. Grapscht nach Strokes Umhang. Macht sich offenbar über ihn lustig. Stroke bleibt vollkommen ruhig. Halte den Atem an. Niemand rührt sich. Es ist totenstill.

Billy streckt wieder die Hand aus. In einer geschmeidigen Bewegung packt Stroke seinen Arm und wirbelt herum. Ein lautes Knacken hallt über den Platz zusammen mit einem gellenden Schrei. Selbst in meinem Versteck kann ich den gesplitterten Knochen sehen. Rot vom Blut ragt er aus Billys Arm. Sein Gesicht ist kreidebleich. Stroke zieht etwas aus seiner Manteltasche. Fährt damit blitzschnell über Billys Kehle. Sofort färbt sich sein Hemd dunkelrot. Billys Augen treten hervor. Er röchelt. Starrt ihn ungläubig an. Versucht mit seinen Händen vergeblich die Wunde zu schließen. Stroke steht wieder vollkommen ruhig da.

Für einen Moment scheint alles wie eingefroren. Völlig ungerührt setzt Stroke seinen Weg fort. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, bis Billy endlich aufhört zu zucken. Nach und nach verteilt sich die Menge. Düsternis hängt wie eine Glocke über allen.

EvilEye

Die Leiche mitten auf dem Platz wird von niemandem beachtet. Kann meinen Blick nicht von ihr abwenden. Sehe eine Bewegung in der Gasse gegenüber. Ein Junge. Ebenso abgemagert und heruntergekommen wie ich. Auch er starrt Billy an. Sein Blick schnellt zwischen ihm und Stroke, der gerade das Ende des Platzes erreicht, hin und her. Wenn ich nicht leer ausgehen will, ist das meine einzige Chance. Atme tief durch. Schnell husche ich zu dem Toten. Zwinge mich, ihm nicht ins Gesicht zu sehen. Greife mir alles, was ich in die Finger bekomme. Ein Kribbeln im Nacken lässt mich aufschauen. Mein Atem stockt. Stroke hat sich umgedreht. Beobachtet mich. Rotglühende Augen brennen sich in meinen Geist. Lähmen mich. Das Glühen wird stärker. Breitet sich aus. Verschluckt alles um sich herum. Rot! Überall Rot!

„Halt!“

Der schneidende Befehl reißt mich aus meinem Alptraum. Unsanft pralle ich gegen die Fasswände, als der Wagen ruckartig zum Stehen kommt. Ich verdränge das ungute Gefühl, das sich mit den Resten des Traums in meinem Bauch festsetzen will. Versuche in der Enge des Fasses meine verkrampften Muskeln etwas zu lockern. Ein schmerzhaftes Kribbeln macht sich in meinen Beinen breit. Gedämpft dringt Bucks Stimme an mein Ohr. „Ich liefere den bestellten Wein.“ - „Wein? Lass mal sehen.“ Die Stimme hat einen begierigen Unterton angenommen. Wie geplant. Der Wagen schwankt merklich, als die Wache aufsteigt. Mein Puls beschleunigt sich, auch wenn das Fass, in dem ich mich befinde, ganz hinten steht. Aber die Sorge ist vollkommen unbegründet. Nach einer kurzen Unterredung und dem ein oder anderen Schluck Wein lassen wir die erste Hürde hinter uns. Der Rest wird ein Kinderspiel.

Es vergeht noch eine gefühlte Ewigkeit, bevor das erlösende Klopfen mich aus meiner Konservenbüchse befreit. Schnell hebe ich den Deckel ab und zwinge meine eingeschlafenen Muskeln dazu, mich geschmeidig aus dem Fass zu befreien. Die Belohnung dafür sind tausende kleiner Nadelstiche, die sich bei jedem Schritt in mich hineinbohren. Schnell unterdrücke ich das Stöhnen, das sich aus meiner Kehle schleichen will, und sehe zu Buck. Er steht, scheinbar auf etwas oder jemanden wartend, neben dem Karren und wird auch so lange dort stehenbleiben, bis ich wiederkomme. Oder bis etwas schiefgeht. Wieder durchströmt mich das warme Gefühl und bringt meine zitternden Muskeln zur Ruhe. Buck ist da. Buck wird immer da sein. Mit klopfendem Herzen wende ich mich dem kleinen Kellerfenster zu, das mein hochexklusiver Eingang sein wird. Die Gitterstäbe, die es eigentlich gegen jemanden wie mich absichern sollten, sind kein Problem. Man nennt mich nicht ohne Grund Wiesel.

Vom Keller ist es ein kurzer Weg nach oben. Die massiven Steinstufen schlucken meine ohnehin leisen Schritte. Ein Hochgefühl überkommt mich, während ich langsam die schwere Eichentür öffne, die mich in die Vorhalle führen wird. Ich bin in meinem Element. Diese Nacht war nur ein dummer Fehler. Das hier ist, was ich kann. Was ich bin. Geduckt schleiche ich über den weichen Teppich. Es ist fast schon zu einfach. Aber ich werde mein Glü…

Spazierstock

Erstarre mitten in der Bewegung. Sämtliche Nackenhaare stellen sich auf. Kaltes Grauen überkommt mich. Das Hochgefühl von eben verdorrt und nimmt meinen Verstand mit sich. Mein Kopf ist vollkommen leer. Ungläubig starre ich auf das, was da an der Wand lehnt. Lang und schlank. Aus dunklem Holz. Goldene Intarsien zieren den silbernen Knauf. Mein Magen verhärtet sich zu einem festen Klumpen. Bekomme kaum noch Luft. Etwas in mir schlägt Alarm. Meine starren Muskeln lösen sich. Ich wirbele herum. Nur um zu sehen, wie meine Welt in sich zusammenstürzt.

“Buck?” Meine Stimme bricht. Zusammen mit meinem Herzen. Tränen verschleiern meinen Blick. Wie, um mich davor schützen, mehr zu sehen. Aber es ist zu spät. Es hat sich schon in mein Gedächtnis eingebrannt. Die Schuld in seinem Blick, bevor er meinem ausgewichen ist. Die eingesunkenen Schultern meines einst so strahlenden Helden. Er war alles. Mein Freund. Mein Bruder. Mein Fels in der Brandung. Mein Buck. Jetzt steht er, klein und zusammengekrümmt, neben ihm. Der Mann, den ich fast mein gesamtes Leben lang kannte, ist verschwunden. Als hätte er nie existiert. Unfähig, seinen Anblick noch länger zu ertragen, sehe ich weg. Grüne Augen bohren sich in meine. „Vielen Dank, Buck. Du hast mir sehr geholfen.“ Der Angesprochene zuckt zusammen. Fast wirkt es, als wolle er etwas sagen. Aber er bleibt still. Seine Hände verkrampfen sich um den schweren Beutel, in dem sich wohl deutlich mehr als 30 Silbermünzen befinden. Ein letztes Mal sieht er zu mir. In seinen Augen liegt ein Flehen. Um Verständnis. Der Verrat brennt sich wie Eis durch meinen Körper. Bildet scharfe Stacheln, die sich in mein Innerstes bohren. Noch immer stehe ich reglos da. Eine einzelne Träne läuft kalt meine Wange hinab. Buck wendet sich ab. Lässt mich allein.

„Hallo, kleine Diebin.“

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by RookieNightmare

Teil 1: Das falsche Haus

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