Deutsches Creepypasta Wiki
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Sheriff Thomson überflog das Protokoll und räusperte sich. Er nickte der jungen Frau mit dem Pferdeschwanz beruhigend zu, die angespannt an der Küchenspüle lehnte und nervös an einer Zigarette zog: »Können wir die Sache noch mal kurz durchgehen, Miss Hazeltine?« Laura Hazeltine guckte ihn irritiert an. »Muss das sein?«, fragte sie gequält. »Ich habe Ihrem Deputy doch schon alles gesagt.« Thomson nickte. »Ja, und das haben Sie sehr gut gemacht. Aber manchmal erinnert man sich noch an weitere Details, wenn jemand anderes das Ganze erzählt. Bitte, Miss Hazeltine!«, sagte er so sanft wie möglich. Der Schreck steckte der jungen Frau immer noch in den Gliedern, das konnte er deutlich sehen; und dass er sie um Haupteslänge überragte, machte die Sache nicht eben besser. »Gut, meinetwegen«, gab sie sich geschlagen.

»Also, der Paketbote kam so gegen 2 Uhr 30 heute Nachmittag und gab das Paket ab. Kannten Sie den Paketboten?« Sie nickte. »Natürlich. Es war der alte Bill. Er bringt die Pakete, solange ich denken kann. Meinen Sie, dass er was damit zu tun hat?« Es versetzte Thomson einen kleinen Stich, dass sie vom alten Bill sprach. Er und William Bascompe waren zusammen auf der Junior High gewesen, und wenn Bill alt war, bedeutete dies, dass er selbst... »Das kann ich mir nicht vorstellen. Bill Bascompe ist zwar in seinen wilden Jahren ein paar Mal mit der Polizei aneinandergeraten, weil er Autos frisiert hat, aber er konnte schon als Kind keiner Fliege was zuleide tun. Aber wir werden ihn selbstverständlich befragen müssen.«

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Der Sheriff schaute wieder auf das Protokoll in seiner Hand. »Sie nahmen das Paket an und gingen damit in die Küche, weil Sie Sich gerade etwas zu essen gemacht hatten. Erwarteten Sie ein Paket?« Laura Hazeltine schüttelte leicht den Kopf. »Eigentlich nicht. Aber ich bestelle häufig Sachen im Internet; deshalb hab ich mich auch nicht direkt gewundert. Manche Leute packen die Sachen so sicher ein, als wollten sie ’ne Bombe verschicken.« Thomson blickte wieder auf das Papier in seiner Hand, um seinen missbilligenden Blick zu verbergen. Internet. Seine Kinder nörgelten auch immer an ihm rum, aber er brauchte einen richtigen Store, wo er die Sachen in die Hand nehmen und ausprobieren konnte. Vielleicht war er doch alt. Altmodisch bestimmt.

»Nachdem Sie mit dem Essen fertig waren – das war ca. um 3 Uhr -, öffneten Sie dann das Paket. Haben Sie direkt hineingesehen, oder lasen Sie erst den Brief?« Laura Hazeltine verdrehte genervt die Augen, was Thomson mit Genugtuung zur Kenntnis nahm. Offensichtlich kehrte der Widerstandsgeist der jungen Frau allmählich zurück, ein Zeichen dafür, dass der Schock nicht allzu tief saß. »Das hab ich Deputy Gadd doch...« - »Geddes«, korrigierte er mechanisch – »Geddes doch schon alles gesagt. Ich habe das Papier aufgeschnitten, der Brief fiel raus und ich las ihn. Danach habe ich dann in den Karton geguckt. Und als ich gesehen habe, was drin war, habe ich sofort die Polizei angerufen.«

Sheriff Thomson lächelte ihr aufmunternd zu. »Ja, Ihr Anruf wurde um 3 Uhr 6 p.m. von uns registriert. Sie haben genau das Richtige getan, Laura. Ich darf Sie doch Laura nennen, oder?« Sie nickte stumm, während sie ihren Zigarettenstummel im Aschenbecher ausdrückte. »Hat irgend jemand außer Ihnen und Bill Bascompe das Paket noch berührt?« Laura schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste. Jedenfalls nicht, nachdem Bill weg war.« – »Und den Brief haben ausschließlich Sie angefasst?« – »Ja. Ich lebe allein hier. Mein Freund wohnt in Cedar Rapids und kommt nur an den Wochenenden her.« Thomson runzelte die Stirn. Er war - wie gesagt – altmodisch und fand, eine junge, hübsche Frau wie Laura Hazeltine habe etwas Besseres verdient als eine Wochenendbeziehung.

»Fanden Sie irgendetwas seltsam an diesem Brief?« Laura sah Sheriff Thomson verblüfft ins Gesicht. »Sie meinen, außer dem Inhalt?«, fragte sie ein wenig schnippisch. »Nein. Aber das letzte Mal, dass ich einen Kettenbrief auf Papier erhalten habe, war ich zehn oder elf. Und von einem Kettenpaket hatte ich noch nie was gehört. Sonst noch Fragen?« Thomson setzte eine Miene auf, die – wie er hoffte – eine gewisse väterliche Strenge ausstrahlte. »Ganz ruhig, Laura. Wir machen Folgendes: Wenn der Brief ernst gemeint ist, sollten Sie die nächsten fünf Tage eigentlich nichts zu befürchten haben. Trotzdem werde ich anordnen, dass ein Streifenwagen regelmäßig an Ihrem Haus vorbeifährt, vor allem nachts. Sobald wir etwas wissen, spätestens aber wenn die Frist aus dem Brief ausläuft, melden wir uns bei Ihnen und besprechen das weitere Vorgehen. In Ordnung?« Laura Hazeltine guckte ein wenig verlegen, dann nickte sie.

»Gut. Ich denke, das wär’s fürs Erste. Deputy Geddes wird jetzt noch Ihre Fingerabdrücke abnehmen, damit wir sie von anderen Fingerabdrücken unterscheiden können. Falls irgendetwas ist, falls Ihnen noch etwas einfällt, - und mag es Ihnen noch so unwichtig erscheinen – rufen Sie uns an, oder kommen vorbei, in Ordnung?« Laura nickte heftig, so dass ihr Pferdeschwanz wippte. Sie rang sich ein Lächeln ab. »In Ordnung. Und was geschieht jetzt mit dem... mit diesem... Ding?«, fragte sie stockend. Sheriff Thomson blickte ihr fest in die Augen. »Das Ding, wie Sie es nennen, kommt jetzt auf dem schnellsten Weg in die Gerichtsmedizin nach Vinton. Und Sie sollten es nicht mystifizieren, indem Sie es nicht beim Namen nennen. Das Ding ist ein Herz, Laura, und wir werden herausfinden, wer eines vermisst.«

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Sheriff Thomson wusste nicht, zum wievielten Male er sich den Brief nun ansah. Das Papier steckte in einer versiegelten Klarsichthülle der Spurensicherung. Dunkle Flecken zeigten an, wo sie auf Fingerabdrücke gestoßen waren. Das Paket war beim Transport durch viele Hände gelaufen, von denen sie bisher lediglich die von Laura Hazeltine und William Bascompe eindeutig identifiziert hatten. Auf dem Brief befanden sich nur die Abdrücke von zwei Personen: die von Laura und die des mutmaßlichen Absenders. Ein Abgleich mit der AFIS-Datenbank hatte jedoch keinen Treffer ergeben. Er las den Brief erneut durch und fragte sich, ob sich der Ermittlungsaufwand eigentlich lohnte.

Kettenbrief-Original

 

Ein Name war Thomson direkt bekannt vorgekommen. John Constantine war eine Figur aus den Hellblazer-Comics. Kettenraucher. Immerhin hatte dieser Scherzbold Humor. Er kannte sich nicht besonders gut aus, aber es würde ihn nicht wundern, wenn die übrigen Personen auch aus irgendwelchen Comics stammten. Er wollte die Namen gerade in die Suchmaschine eingeben, als das Telefon läutete. Er nahm den Hörer ab und meldete sich. Die nächsten Minuten sagte er nichts, sondern hörte nur zu, brummte gelegentlich zustimmend und machte sich Notizen. »Danke, Coroner! Wir hören voneinander«, sagte er lediglich, bevor er auflegte. Sheriff Thomson dachte lange nach, während er den Brief betrachtete. Dann suchte er eine Nummer aus seinem Telefonverzeichnis, griff er zum Hörer und begann zu wählen.

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Eigentlich hätte er auch anrufen können, aber Sheriff Thomson zog es vor, Laura Hazeltine die Nachricht persönlich zu überbringen. Er mochte die junge Frau und wollte sehen, ob es ihr auch wirklich gut ging. Wenn er ehrlich zu sich war, tat er es auch, weil er sich ein wenig zu ihr hingezogen fühlte. Nicht in ungebührlicher Weise – schließlich war er glücklich verheiratet, und Laura Hazeltine hätte seine Tochter sein können. Aber er freute sich doch, sie wiederzusehen, und es ärgerte ihn etwas, dass er mit dem alten Crown Victoria vorfuhr, und nicht mit einem der neuen Ford Explorer-Streifenwagen. Offensichtlich hatte sie ihn ankommen gesehen, denn sie öffnete, bevor er die Türglocke betätigen konnte.

»Sheriff Thomson. Schön, Sie zu sehen. Wie geht es Ihnen? Haben Sie Neuigkeiten für mich?« Thomson lächelte: »Die habe ich tatsächlich. Und gute Neuigkeiten, wie ich finde. Darf ich eintreten?«, fragte er, aber ihre Geste war Antwort genug. Sie ging vor ihm in die Küche, und er folgte ihr. »Nehmen Sie doch Platz! Kann ich Ihnen etwas anbieten, Kaffee vielleicht? Oder ein Bier?“ Laura drehte sich im Gehen zu ihm um und deutete auf den Esstisch. Thomson grinste: »Kein Alkohol, danke; schließlich bin ich im Dienst. Aber ein Kaffee wäre prima. Schwarz bitte, ohne Zucker.« Er zog einen Stuhl zu sich heran und setzte sich, während Laura zwei Tassen und eine Kanne auf den Tisch stellte. Anscheinend hatte sie den Kaffee gerade erst aufgeschüttet, denn er dampfte noch, als sie ihn eingoss.

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Thomson wartete, bis Laura schräg neben ihm Platz genommen hatte – an demselben Esstisch, auf dem sie vor drei Tagen das Paket mit der unliebsamen Überraschung geöffnet hatte. Sie schien sich von dem Schreck gut erholt zu haben. Der Sheriff nahm einen Schluck aus seiner Tasse und räusperte sich: »Meine liebe Miss Hazeltine«, begann er feierlich, »offensichtlich hat sich jemand mit Ihnen einen schlechten Scherz erlaubt. Einen sehr schlechten Scherz.« Er machte eine kleine Pause. »Laura, wie versprochen haben wir das Herz unverzüglich in die Gerichtsmedizin nach Vinton geschickt. Coroner Reynolds von Benton County rief mich gestern früh an. Es handelt sich bei dem Inhalt ihres Pakets nicht um das Herz eines Menschen, sondern eines Schafes.«

Thomson nahm einen weiteren Schluck Kaffee. »Wie er mir erklärte, sehen die Herzen von Schafen und Menschen einander sehr ähnlich und sind für den Laien kaum zu unterscheiden. Aber die histologischen und genetischen Untersuchungen sind eindeutig. Unser Organspender hatte vier Beine, acht Hufe und sehr, sehr viele Haare.« Er machte eine Pause, um die Nachricht wirken zu lassen. Lauras Griff, der eben noch ihre Tasse vor Aufregung fest umklammert hatte, entspannte sich merklich. »Ein Schafsherz?«, fragte sie. »Woher hatte er denn ein Schafsherz?« Sheriff Thomson grinste: »Von einem Schaf, nehme ich an. Möglicherweise arbeitet unser Scherzbold bei einem Schlachthof oder hat es sich zumindest dort besorgt. Vielleicht hält er auch selber Schafe. Wenn man will, kommt an so was jedenfalls dran.«

Er räusperte sich. »Bill Bascompe hat übrigens – wie erwartet - nichts mit der Sache zu tun. Er war nur der unfreiwillige Überbringer der schlechten Nachricht.« Die Erleichterung war Lauras Gesicht deutlich anzusehen, als sie dies hörte. »Und was werden Sie jetzt unternehmen, Sheriff. Verhaften Sie den Kerl?« Thomson lehnte sich etwas in seinem Stuhl zurück, dann sagte er gedehnt: »Nuuun, ob es ein Kerl ist oder eine Kerline, wissen wir zur Zeit noch nicht. Name und Adresse des Absenders sind frei erfunden. Die angegebene Straße existiert nicht. Und verhaften? Wofür? Alles, was wir dem Täter oder der Täterin zur Zeit vorwerfen könnten, wäre das unsachgemäße Versenden von Lebensmitteln. Aus unserer Sicht ist der Fall abgeschlossen.«

Zwischen Lauras Hazeltines Augenbrauen bildete sich eine Zornesfalte, die ihr – zumindest Sheriff Thomsons Ansicht nach - ganz ausgezeichnet stand. Bevor sie ihrer Empörung Luft machen konnte, fuhr er fort: »Allerdings könnte es sein, dass das FBI noch ein paar unangenehme Fragen an unseren Scherzbold hat.« Laura wirkte so verblüfft, das Thomson beinahe laut aufgelacht hätte. »Das FBI? Was hat das FBI damit zu tun?« Der Sheriff beobachtete den Kaffee in seiner Tasse und genoss die dramatische Pause, bevor er weitersprach: »Tja, die angegebene Adresse, die es nicht gibt, liegt zwar bei uns in Iowa, aber aufgegeben wurde das Paket drüben in Minnesota. Genauer gesagt in Rushford, Fillmore County. Und damit ist es ein Fall für die Bundesbehörden.«

Er lächelte Laura väterlich zu, während er fortfuhr: »Ich habe deshalb mal mit dem FBI in Waterloo telefoniert und ein paar interessante Dinge erfahren. Sie sind nämlich nicht die Erste, die ein solches Paket erhalten hat. Unser Kettenbriefschreiber hat schon Überraschungspräsente an Personen in Iowa, Minnesota, Illinois, Michigan und Wisconsin verschickt, immer aus einem angrenzenden Bundesstaat. Wahrscheinlich hoffte er, dass der Fall für die jeweilige Polizei zu unwichtig sei, um über die Staatsgrenzen hinaus zu ermitteln.« Laura blickte den Sheriff fragend an. »Und warum interessiert sich dann das FBI für die Sache?«

Thomsons Gesichtsausdruck wurde ernst. Dann sagte er: »Nun, in einem kleinen Ort in Waushara County, Wisconsin, kam es aufgrund eines dieser Pakete zu einem...« Er sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein: »... tragischen Zwischenfall. Der Empfänger war ein alleinerziehender Vater. Seit dem Unfalltod seiner Frau war er... wie soll ich sagen... psychisch instabil und entwickelte... nun... extreme religiöse Ansichten. Und das Paket ließ ihn wohl vollends den Bezug zur Realität verlieren. Er hielt es für eine Botschaft seiner verstorbenen Frau. Jedenfalls hat er... nun, machen wir’s kurz... er hat seine beiden Kinder im Schlaf erdrosselt, ihre Herzen herausgeschnitten und an seine nächsten Verwandten geschickt. Er befindet sich derzeit im Hochsicherheitstrakt des Mendota Mental Health Institute in Madison, Wisconsin.«

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by Horrorcocktail

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