Deutsches Creepypasta Wiki
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1969:

Es war einer dieser lauwarmen Juliabende, wenn die Gluthitze des Tages langsam der kühleren Dunkelheit weicht.

Die Schulferien waren an ihrem Höhepunkt angelangt und so hatte ich den ganzen Tag ausgelassen im Garten und der Umgegend verbracht, wo ich mit meinen Freunden Dämme baute, im Wald verstecken spielte und noch viele andere Dinge machte, die für einen 7-jährigen Jungen die schönste Zeit seines Lebens bedeuteten.

Als die ersten Ausläufer der Dämmerung unseren weit ausufernden Garten in dumpfes, sanft pulsierendes, Zwielicht tauchten, waren meine Freunde weggeschickt und ich von meiner Mutter ins Haus begleitet worden.

Während wir, ohne viel zu sprechen, zu Abend aßen, erkannte ich durch das mit einer Gardine zum Teil verhängte Fenster, dass sich immer mehr Wolken vor die schon abendlich ausgebleichte Sonne schoben, sodass sich das Licht auf einen immer kleineren Punkt am Himmel reduzierte.

Erschöpft durch einen anstrengenden Tag wollte ich nicht einmal aufbleiben, um meinen Eltern zu beweisen, dass ich schon ein "großer Junge" geworden war, sondern ging mich gleich für die Nacht umziehen.

Später, als ich noch einmal ins Wohnzimmer kam um meinen Eltern "Gute Nacht" zu sagen hatte sich das Sonnenlicht in einem wüsten Wolkengebirge aufgelöst, aus dessen schwarz umrandeten Umrissen ein Schleier aus Regen fiel, welcher nur gelegentlich vom weißlichen Flackern eines Blitzes zerrissen wurde.

Der Gong-Schlag des Donners traf unser kleines Haus in immer wieder wuchtig hereinbrechenden Wellen und ließ die Fenstergläser klirren, sodass sich die Gardinen sacht bewegten, obwohl die Fenster geschlossen waren.

Nach dem "Gute-Nacht-Kuss" meiner Mutter trippelte ich auf nackten Füßen die steilen Stiegen unserer Treppe hinauf, ängstlich in die Dunkelheit lauschend. Einen Lichtschalter im Flur gab es in unserem alten, noch aus der Kolonialzeit stammenden, Haus nicht.

Ich ertastete meinen Weg in die obere Etage und griff nach der kalten Klinke meiner Zimmertür, welche sich geräuschlos öffnete und den Blick auf mein im Dunkeln liegendes Kinderzimmer freigab.

Schnell lief ich durch den Parcours meiner am Boden liegenden Spielsachen auf mein Bett zu, um mich vor dem nach wie vor heulenden Sturm in die Arme meines geliebten großen Teddybären "Mr. Happy" zu flüchten.

Das Kuscheltier eng an mich gedrückt, schlief ich schließlich vom Gewitter umtost ein.

Im halb diffusen Licht aus Traum und Wirklichkeit, in der unwirklichen Ecke in der sich Wahrheit und Fantasie begegnen, und die jeder von uns kennt, wenn wir verschwitzt und umgeben von der Nacht aufzuwachen versuchen, fing etwas an sich zu regen.

Ein Luftzug, ganz schwach, umwirbelte das Fußende meines Bettes und bahnte sich seinen Weg um meine in der Bettdecke verknoteten Füße bis hinauf zu meiner Brust.

Es war mir, als würde es mit der Zeit schwerer und schwerer, als wüchse sein Gewicht ins Unermessliche, bis es schließlich auf meine Brust drückte und mir den Atem nahm.

In diesem Moment erhob sich aus den Ecken des Zimmers ein unerträgliches Jaulen und Pfeifen und eine Wand aus Wind fegte über mich hinweg und presste mich in die Kissen.

Der einzige bewusste Gedanke den mein überfordertes, wild in Panik rasendes Hirn zuließ war "Es muss das Fenster sein...Das Fenster muss aufgegangen sein...Der Sturm...ich..."

Ich starrte angestrengt in Richtung meiner Zimmerwand um mir zu beweisen, dass ich nicht träumte, sah jedoch nur wirbelnde Dunkelheit.

Bis sich abermals etwas erhob. Entsetzlich vertraut, grässlich verändert bewegten sich aus der Peripherie der Schatten meine Eltern auf mich zu. Die Gesichter verzerrt in grotesken Fratzen, die Münder weit aufgerissen, als ob ein geisteskranker Fotograf sie just im Moment eines Niesers auf seine Platte gebannt hatte.

Doch dann hörte ich sie lachen. Es war ein Lachen, dass sich anhörte wie ein gläserner Splitter, der über eine verstimmte Geige gezogen wurde, dass sich anfühlte, wie ein Fall ins Bodenlose, denn noch immer lag ich bewegungslos in meinem Bett.

Je näher die zerschlagenen Hüllen der Menschen an mein Bett traten, die ich bisher nur als liebevoll und fürsorglich kennen gelernt hatte, die in ihrer Normalität etwas so tröstliches hatten, desto entsetzlicher schien mir die Veränderung.

Die Augen hohl hinter den Jochbeinen versunken brachen sie in immer schrillere, höhere und markerschütternde Schreie stumpfen Hohngelächters aus, wobei sie mit den Fingern auf mich zeigten. Geifer sprühte um ihre Lippen und sie hielten sich in einer grotesk realen Reaktion auf einen Witz, den ich nicht verstand und nie verstehen wollte, den Bauch.

Der Wind erwuchs nun zum Orkan und jagte mit wildem Heulen um mein Nachtlager, riss meine Spielsachen und meine Nachttischlampe mit sich und ergriff schließlich meine Füße, die er unter der Bettdecke hervorzerrte.

Eine eiskalte Hand griff mich am Knöchel und erhob mich in die Luft, ein Biest, das mich mit eisernen Krallen in seinen in der Dunkelheit verborgenen Bau fortschleppte.

Meine ausgestreckten Hände verkrallten sich schließlich in einen Bettpfosten, an welchen ich mich mit aller verbliebener Kraft klammerte.

Plötzlich ließ der Wind nach und ich ging strampelnd neben meinem Bett zu Boden.

Schniefend, meine weit aufgerissenen Augen vor wässrigen Vorhängen tränenblind, raffte ich meinen Körper, ohne es wirklich selbst zu merken, auf allen Vieren zur Tür, immernoch verfolgt vom monotonen Gelächter im Inneren.

Rasend vor Angst taumelte ich die Treppe nach unten ins Esszimmer, wo ich, die grellen Töne, die mir schmerzhaft in den Ohren nachhallten, mit meinen beiden Händen erstickend, unter den Esszimmertisch kroch.

Mein Herzschlag beruhigte sich etwas, bis ich durch das nun leisere Tosen ein Geräusch hörte. Ich würgte die Galle in meinem Mund hinunter und lauschte. Schritte. Langsam, fast bedächtig gesetzte Schritte überquerten den ausgetretenen Läufer.

Trocken schluchzend warf ich mich herum, in die Richtung, aus der ich den Eindringling vermutete. Ein Mann, dunkel gekleidet bis auf eine Gürtelschnalle in Form eines rubinrot flackernden Auges, aus dem sich eine saphierblaue Träne wand, trat in geradezu aufdringlicher Gelassenheit auf mich zu.

Es war einer dieser Augenblicke, in dem das ganze Ich unter Spannung steht. In der ein einziger Schlag die Welt in Myriaden von Scherben zerspringen lässt. Es war einer dieser Augenblicke in denen man auf den Schlag wartet, ihn sogar herbeisehnt, nur um diese Welt aus Todesangst endlich mit einem Schauer hinter sich lassen zu können, um sich seiner sämtlichen Gefühle zu entledigen.

Die hinter seinem Rücken verborgene Hand des Mannes schoss vor, ein scharfes Zischen erfüllte die Luft. Am äußersten Rande meines Blickfeldes sah ich etwas auf mich zufahren.

Bis die Situation erstarrt. Die Welt hat aufgehört sich zu drehen. Eine sanfte Stimme, ganz anders als das Heulen und Toben der Gefühle, ganz anders als das Zischen der Peitsche, die der Mann vor mir immer noch in einem weiten Bogen umklammert hielt.

Es ist die Stimme von Oma Brille. Von Oma Brille, die von der ganzen Familie so genannt wird, doch keiner weiß warum. Von Oma Brille, die dir vor dem Kamin sitzend Märchen vorliest und Geschichten aus ihrer Jugend erzählt als es noch keine Männer mit Peitschen gab und als die Eltern noch klein waren und vergnügt lachten.

"Hör auf dich zu quälen, mein Kleiner. Es ist doch alles gut, alles wird gut! Ich bin bei dir!"

Die Welt versinkt in Schwärze.

2007:

Ich habe diesen Traum nie wieder gehabt und doch glaube ich, dass ich selbst in den nächsten Monaten mit meinen Eltern nur schlecht allein sein konnte. Zu mächtig stand mir das Geschehen noch vor Augen.

Niemand, fand ich, sollte so etwas je erfahren müssen. Geradezu beängstigend real verkroch sich die Erinnerung in den tiefsten Tiefen meines Gehirns.

So fasste ich als kleiner Junge den Entschluss, dass ich alles tun würde, um, wenn ich mal groß bin, meine Kinder vor solchen Erfahrungen zu schützen, obwohl ich selbst nie jemandem ein Wort über den seltsamen Besuch erzählt habe.

Und obwohl Oma Brille heute schon lange nicht mehr lebt, fühle ich mich ihr doch noch immer sehr nahe, denn sie wurde zu meinem kindlichen Schutzengel.

Wir standen uns nahe, so nahe, dass ich auch als Erwachsener manchmal noch abends, wenn mal wieder ein Sturm um das Haus fegt, ihre Stimme höre und ihre warme Hand wie eine Sommerbrise über meinen Kopf streichen spüre.

Ich nehme das Rascheln ihrer Kleider und der Buchseiten wahr und rieche den Duft ihres Parfums.

Es ist nun ca. 3 Uhr nachts und ich schreibe diese Begebenheit auf, nur um des Schreibens willen. Damit ich verstehen kann, dass dies wirklich geschehen ist.

Um zehn Uhr an diesem Abend wachte ich auf und war ganz von der Erinnerung an Oma Brille umgeben.

Schlaftrunken, aber durchaus nicht unbehaglich, ging ich in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen.

Auf dem Weg durch den Hausflur schaute ich bei meinem 7-jährigen Sohn vorbei.

Als ich die Zimmertür öffnete, blickte er mich mit halb geöffneten Augen schlaftrunken an und sagte ganz ruhig: "Oma Brille hat dich sehr lieb. Der Mann mit der Peitsche kommt nicht mehr!"

Am Sommerabendhimmel versank der letzte Sonnenstrahl am Horizont.

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