Deutsches Creepypasta Wiki
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Inhaltsverzeichnis


Dieses Mal ist es der Schmerz, der mich aus der dunklen Umarmung der Ohnmacht reißt, der erste Blick fällt auf die fleckige Decke. Eine nackte Glühbirne sticht mir mit grellen Strahlen in die Netzhäute und ich schließe meine Augen noch einmal für einen kurzen Moment. Wie lange war ich weggetreten?
Es kann nicht allzu viel Zeit verstrichen sein, denn ich finde mich ungefähr an der Stelle wieder, wo ich umgefallen bin. Offensichtlich hat noch keiner gemerkt, dass hier nicht alles nach Plan verläuft. Oder gab es außer dem kranken Arzt und seiner überraschend vielschichtigen Assistentin kein weiteres Personal?
Meine Seite pocht, der Rücken brennt wie Feuer, zusätzlich schmerzt jetzt auch die linke Schulter, die offensichtlich den Sturz abgefangen hat. Danke dafür, meinem Kopf wäre das weniger gut bekommen.
Das T- Shirt klebt nass auf der Haut. Mist, die Naht muss aufgegangen sein. Ich kann mich kaum bewegen, aber ich muss hier raus, wenn ich mir nicht selbst beim Verbluten zusehen will.
In Zeitlupe rolle ich mich auf die Seite, winkele die Knie an und versuche mich auf alle Viere zu stemmen. Es ist beinahe unmöglich dabei nicht die Bauchmuskeln anzuspannen. Der Schmerz pulsiert heiß in der Seite, frisst sich tief in die Eingeweide. Reiß dich zusammen, du Memme!
Ich entdecke die Leiche der Krankenschwester ein paar Schritte weiter.
Im Tod hat sie sich wieder in die attraktive Frau verwandelt, nur die durchschnittene Kehle stört die Ästhetik. Der tote Dr. Frankenstein liegt auf der anderen Seite im Durchgang zu meiner ehemaligen Zelle.
Was geht hier vor?
Kriechend und stöhnend überwinde ich die kurze Distanz, um Schwester Rabiata einer kurzen Prüfung zu unterziehen. Sie hat nichts bei sich, das von Bedeutung wäre.
Mist.
An der nächsten Wand richte ich mich mühsam auf. Jetzt fällt auch meinem Fuß wieder ein, dass er verletzt ist und beschwert sich über das Gewicht. Stell dich nicht so an verdammt! Sei froh, dass du überhaupt noch was fühlst und nicht vor dich hin faulst!
In solchen Situationen wünsche ich mir ein Medkit, das mich in 0,2 Sekunden wieder zusammen flickt. Aber ich bin nicht Gordon Freeman und eine Brechstange habe ich auch nicht. Ist vielleicht auch besser so, denn auf eine Auseinandersetzung mit Aliens lege ich grade etwa genauso viel Wert, wie auf eine Wurzelbehandlung.
Es wird Zeit von hier zu verschwinden und den Dingen auf den Grund zu gehen. An die Wand gestützt, schleppe ich mich durch den kleinen Vorraum meiner ehemaligen Zelle, der zu einer angelehnten Tür führt. Noch bevor ich sie aufstoße, schlägt mir ein süßlicher Geruch entgegen und ich weiß, dass es sich um den Operationssaal handelt.
Bei seinem Anblick dreht sich mir der Magen um.
Ein verbeulter Stahltisch mit Werkzeug, eine schmutzige Liege, technische Geräte aus dem letzten Jahrhundert.
Da liegt noch immer der arme Teufel, dessen Herz für die Yakuza bestimmt war. Auf dem Bildschirm des EKGs läuft eine gerade Linie immer weiter, begleitet von einem hysterischen Tinnitus.
Tut mir leid Kamerad, du hast es hinter dir.
Der Boden rund um die Liege ist überzogen mit einer Patina aus geronnenen Körperflüssigkeiten, Blut scheint nur ein Bruchteil davon zu sein.
Mein Blick fällt auf das Operationsbesteck, das zu Zeiten des ersten Weltkriegs vielleicht modern gewesen war und genauso vor Deck starrt, wie der Boden. Widerlich! Hat der Kurpfuscher mir etwa damit die Niere entnommen? Mein Gewissen meldet, dass es mir nicht leid tun muss, ihn umgebracht zu haben.
An der gegenüberliegenden Wand ist eine weitere Tür.
Ich schleppe mich durch den Raum, präge mir Details ein, für später. Ein mulmiges Gefühl breitet sich in mir aus. Irgendetwas stimmt hier nicht, aber ich kann nicht sagen was.
Hinter Tor Nummer drei verbirgt sich ein Flur.
Ich hoffe, es ist der Jackpot, denn allzu lange werde ich wohl nicht mehr durchhalten.
Ich passiere ein winziges Büro und kann nicht widerstehen einen Blick hineinzuwerfen. Berufskrankheit. Diese ewige Neugier bringt mich noch ins Grab, aber dieses Mal bereue ich es wirklich.
Über einem Schreibtisch, der nur so überquillt vor vergilbten Papieren, Akten und Nachschlagewerken, hängt eine Pinnwand aus Kork, auf der lauter Fotos befestigt sind, die ein und den selben Mann zeigen. Mich. Ich erkenne die Redaktion im Hintergrund, die Pommes- Bude, in der ich regelmäßig zu Mittag esse; sehe mich selbst aus meiner Haustür kommen, oder ins Auto einsteigen.
Jemand hat mich ausspioniert und dann Roxanne auf mich angesetzt, um mich einzufangen.
Wozu dieser Aufwand? Ich bin nur ein kleiner Reporter, der für eine regionale Tageszeitung arbeitet. Meine Artikel handeln von der Neueröffnung des Seniorenheims, der Kulturvielfalt in der örtlichen Veranstaltungsszene, oder dem Bürgerbegehren für eine 30er- Zone im Wohnviertel West.
Zwischen den Bildern mit meinem Konterfei hängen Notizen, die in einer krakeligen Handschrift geschrieben sind. Es könnte die Sauklaue von Dr. Frankenstein sein. Ich humpel ein paar Schritte näher.
Aus der schlechten Handschrift kristallisieren sich fremdartige Zeichen heraus. Symbole, die einzelnen Elementen der Gestaltung des Notizbuches in meiner Hosentasche ähnlich sehen.
Mein Verstand beginnt zu rotieren.
Die Red Church, ein gewisser Fleischmann, der meine Organe für ein Ritual benötigt, Dr. Frankenstein und die Monsterbraut Roxanne.
Wie passe ich in dieses Puzzle?
Ein schrilles Klingeln.
Vor Schreck zucke ich zusammen, was mein Körper mit rasendem Schmerz kommentiert.
Verdammtes Telefon!
Ich wühle auf dem Schreibtisch, schiebe ganze Papierstapel kurzerhand in die Ablage „F“, wie Fußboden und finde schließlich ein schwarzes Bakelit- Telefon. Original mit Wahldrehscheibe.
Himmel, entweder ist Dr. Evil völlig ausgebrannt, oder ein hoffnungsloser Nostalgiker.
Ich nehme den Hörer ab und melde mich undeutlich: „Hm- Hm?“
„Sie brauchen sich gar nicht zu verstellen, Herr Wegener. Ich weiß bereits, dass Sie nicht kooperativ waren.“
Die Stimme am anderen Ende der Leitung klingt gelassen, ein wenig kratzig. Obwohl es keinen offensichtlichen Grund dafür gibt, jagt sie mir einen eisigen Schauer über den Rücken.
„Herr Fleischmann, rate ich mal“, entgegne ich, um mir nichts anmerken zu lassen. Der eisige Schauer sammelt sich als harter Klumpen in meinem Magen. Wieso jagt mir diese Stimme solche Angst ein?.
„Sie kombinieren schnell. Ich bin erfreut. Besuchen Sie mich doch mal wieder. Wir könnten in alten Erinnerungen schwelgen, ach es ist immerhin schon beinahe, acht, neun Jahre her? Für Sie sicher eine ganze Weile, ich kann mir nie merken, wie ihr Menschen die Zeit einteilt. Ständig ändert ihr den Kalender.“ Er spricht in einem lockeren Plauderton, als wären wir alte Bekannte, doch ich kann weder mit seinem Namen, noch mit der Stimme etwas anfangen.
Die Temperatur in dem winzigen Büro scheint plötzlich zu sinken. Ein Frösteln lässt mich erzittern und ich kann den Reflex trotz erneuter Schmerzen nicht unterdrücken. Verwirrt beobachte ich, wie sich Raureif auf dem Bakelit bildet, während der Rest des Schreibtischs von dem Phänomen unberührt bleibt.
„Ich will meine Niere zurück“, fordere ich, doch mit vor Kälte klappernden Zähnen klingt es mehr nach einer Bitte.
„Oh, das dürfte schwierig werden. Ihre Niere hat sich bereits, sagen wir mal, „nützlich“ gemacht“, er schmunzelt kurz, bevor er fort fährt, „Nebenbei sind Sie nicht in der Position Forderungen zu stellen. Ich erwarte, dass Sie mir auch den Rest ihres Körpers überlassen. Falls Sie jetzt überlegen sollten, sich zu weigern, muss ich darauf hinweisen, dass mir Mittel und Wege zur Verfügung stehen, die über das menschliche Verständnis weit hinaus reichen. Aber wenn Sie sich ab jetzt kooperativ zeigen, werde ich darüber nachdenken Ihnen zu verzeihen.“
Furcht und Kälte lähmen jeden Gedanken. Ich habe keine Ahnung wovon dieser Mistkerl redet, aber ich glaube ihm jedes Wort. Einen Moment lang bleibe ich stumm, schlottere am ganzen Körper, kaum fähig, den eisigen Hörer in den gefühllosen Fingern zu halten. Was geht hier vor? So hundeelend habe ich mich schon sehr lange nicht mehr gefühlt. Es erinnert mich vage an Etwas, das ich verdrängt habe. Etwas, das ich zu Recht aus meinem Gedächtnis gestrichen habe, weil…
„Darf ich ihr Schweigen als Zustimmung werten?“, unterbricht mein Gesprächspartner.
„Ich glaube, Sie verwechseln mich“, versuche ich auszuweichen, während mein Blick wieder über die Sammlung Fotos schweift, die eindeutig mich zeigen.
„Wie niedlich“, kommentiert Fleischmann mit beißendem Spott, „Ich versichere Ihnen, dass eine Verwechselung ausgeschlossen ist. Die Red Church macht keine Fehler. Es kann höchstens sein, dass Sie sich nicht erinnern.“
„Das kann ja jeder behaupten“, schnattere ich undeutlich. Langsam wird mir übel.
„Sagen Sie, ist Ihnen kalt?“ Die Gehässigkeit in seiner Stimme ist unüberhörbar.
„Auf Nimmer- Wiedersehen“, antworte ich matt und lege auf.
Doch das Telefonat wird nicht beendet.
„Ich bin noch nicht mit Ihnen fertig“, dringt die kratzige Stimme leise aus dem Hörer.
Irritiert ziehe ich an dem Telefon, sodass sich das Kabel aus der Unordnung schält und mir den Weg zum Anschluss in einer Ecke weist.
„Hören Sie mir zu!“ fordert die Stimme in einem herrischen Befehlston.
Ich ignoriere sie und reiße an dem Kabel, sich zu bücken wäre eine Kraftverschwendung. Der Telefonanschluss reißt mit der Dose aus der Wand. Etwas Putz bröckelt hinterher, die abgerissenen, blanken Litzen hängen schlaff aus dem Loch.
„Habe ich nun Ihre Aufmerksamkeit?“, fragt die Stimme ausdruckslos und ich kann einen erschrockenen Ausruf nicht unterdrücken.
Das ist unmöglich! Eine Welle auf Furcht schlägt über mir zusammen, spült alle schlagfertigen Antworten hinfort und lässt mich schutzlos und verstört zurück. Als ich erneut nach dem Raureif überzogenen Hörer greife, zittern meine Hände nicht nur vor Kälte.
„Wie machen Sie das?“, frage ich stockend.
„Brauchen Sie noch mehr Beweise, um einzusehen, dass Sie keine Chance haben? Ich erwarte, dass Sie sich von nun an kooperativ zeigen. In Kürze wird Sie jemand abholen.“
Ein Klicken, jetzt ist die Leitung tatsächlich tot.
Ich lasse den Hörer sinken. Meine Finger haben Schwierigkeiten, sich von dem eisigen Bakelit zu lösen, so taub sind sie geworden.
Das muss ein billiger Trick sein! Es gibt für alles eine logische Erklärung, man kommt nur nicht immer gleich darauf.
Wieder jagt mir ein Schauer über den Rücken.
Das wahre Grauen schlägt erst jetzt, im Nachhinein, seine spitzen Zähne in meine Gedanken.
Mit was für einer Höllenkreatur habe ich da gesprochen? Nein, das kann nicht sein.
a²+b²=c²
Aber das bedeutet nicht, dass es neben den bekannten Dingen noch mehr geben könnte.
I= U/R
Physik kann nicht beweisen, dass es etwas nicht gibt.
Trotzdem, ich weigere mich zu glauben, dass ich soeben etwas Übernatürliches erlebt habe.
Glaube ist nur ein Mangel an Information.
Mir fehlen zu viele Daten, um das Gesamtbild klar erkennen zu können.
Andererseits rennt mir die Zeit davon. Wenn ich den Besitzer dieser grauenhaften Stimme nicht persönlich treffen will, sollte ich endlich verschwinden.


~~ Vanum ~~


Nächster Teil - Realitätsverlust

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