Deutsches Creepypasta Wiki
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16. Akt - Über Phobos' Kunstverständnis


Ich bin nicht verrückt.

Ich. Bin. Nicht. Verrückt!

Ichbinnichtverrücktichbinnichtverrücktichbinnichtverrückt...


Egal wie oft ich den Satz in meinem Kopf wiederhole, egal mit welcher Betonung ich ihn stumm ausformuliere... er verhallt ungehört in der Leere die sich hinter meinen Augen ausgebreitet hat. Ich spüre,dass Phobos hämisch grinst und neckisch mit der Faust an die Rückwand meiner Augenhöhle klopft. Die Netzhaut verzieht sich und mein Sichtfeld verschwimmt. „L...lass das...“, murmle ich mit schwerer Zunge.

Irgendetwas geht hier vor sich. Ein undefinierbarer Odem hängt in der feuchten Luft und strömt aufdringlich durch jede Pore meines Körpers. Irgendetwas saugt mich aus. Eine Spinne krabbelt über meine rechte Wange. Niemand entfernt sie für mich.

Luna... Wo ist Luna?

„Wer ist Luna?“, fragt Freeman interessiert und beugt sich vor.

Verdammt, habe ich das etwa laut gesagt? Offensichtlich.

Ich schüttle den Kopf. Die Spinne bleibt sitzen, die kleinen Widerhaken am Ende ihrer Beinchen krallen sich in meine Haut. Vielleicht hat sie mich bereits gebissen und mit ihrem Sekret vollgepumpt. Vielleicht wird mein Fleisch gerade von Verdauungsenzymen in eine stinkende Suppe verwandelt. Ich mag keine Suppe.

Gott, wie meine Augen brennen. Phobos soll mit dem Klopfen aufhören... Meine Lippen öffnen sich flatternd: „... 1221/19/1...“ Wer kontrolliert sie? Bin das noch ich? Die Augen des alten Mannes weiten sich „Eine Patientin? Ich wusste gar nicht, dass du in der Anstalt Freunde hattest...“

Das wusste ich auch nicht. Ich hatte nur mich selbst. Und einen Bruder.

Müdigkeit. Schwer wie bleierne Sargdeckel... Ich fühle mich nicht gut. Ob das Fieber zurückgekehrt ist? Sollte ich den Doktor nach einer Aspirin fragen? Schließlich ist er Mediziner... „Du siehst blass aus. Ist dir nicht wohl?“, fragt Freeman aufrichtig besorgt und erhebt sich knarzend von seinem Stuhl. „Kopfschmerzen...“, murmle ich mit dem essigsauren Waschlappen in den sich meine Zunge verwandelt hat. „St... streichen sie Suppe vom Speiseplan...“

Der junge Mann, Ben, schwebt aus der faserigen Dunkelheit hervor ins Licht und berührt den Doktor an der Schulter. Seltsamerweise wachsen violette Chrysanthemen aus seinen Augenhöhlen. Waren die schon vorher da? „Herr Schönbrunn, sehen Sie nicht dass dieser Mann halluziniert? Er redet wirres Zeug. Ich würde sagen wir bringen ihn für heute auf sein Zimmer und verabreichen ihm eine Dosis Neuroleptika. Morgen ist auch noch ein Tag.“

Freeman wirkt enttäuscht, nickt aber langsam. „Vielleicht haben Sie recht mein Junge... Bitte beordern sie zwei Pfleger mit einer Trage.“ Sein faltiger Hals wird immer länger, bis sein Kopf irgendwann auf Höhe der Knie baumelt und während er spricht krabbeln ameisengroße Gottesanbeterinnen aus seinem Mund. Beinahe muss ich lachen. Es ist zu köstlich. Doch Phobos' penetrantes Klopfen und der daraus resultierende Schmerz dämpfen es zu einem qualvollen Röcheln. Immerhin ist es ein belustigtes Röcheln.

„Lassen sie das mit der Trage alter Mann... ich hatte sowieso gerade vor zu gehen...“, hauche ich und meine Augäpfel rollen in das Innere meines Schädels. Das Letzte was ich sehe, ist das triumphierende Grinsen meines Bruders.


Anspannen.

Reißen,

Zuschlagen.

Zubeißen.

Festhalten.

Abreißen.

Zerfleischen.

Zerfetzten.

Saugen.

Schlucken.

Weiter!

Packen.

Reißen.

Stechen.

Treten.

Herausdrücken.

Abreißen.

Zerfleischen.

Zerfetzten.

Saugen.

Schlucken.

WEITER!


Und weiter... weiter...


Lachen.

Töten.

Genießen.




Als ich wieder zu mir komme, ist es dunkel. So dunkel, dass ich mir in der ersten Sekunde nicht sicher bin, ob ich überhaupt meine Augen geöffnet habe. „Ja, einer hat im Todeskampf die Lampen zerschossen.“, nuschelt Phobos und stochert mit einem der Metallstäbe in unseren Zahnzwischenräumen herum. Mit der anderen Hand fasse ich stöhnend an unsere Stirn und spüre das Blut dass von ihr tropft, das meine Haare verklebt und den Boden bedeckt. „W... was zum...?“, frage ich verwirrt und Phobos kichert zufrieden. Spätestens als ich den Geschmack von Salz, Metall und roher Leber bemerkte, wird mir alles klar.

Mein Magen zieht sich zusammen und ich erbreche einen Schwall fremdes Blut. Phobos schlägt entsetzt unsere Hände vor dem Mund, um den Mageninhalt drinnen zu behalten, doch der durch mich ausgelöste Reflex ist stärker und das halbverdautes Plasma quillt unaufhaltsam durch unsere Finger. Unser von Krämpfen geschüttelte Körper stürzt schmerzhaft auf den klebrigen Boden.

„Beim Kotzen sollte man sich nun einmal irgendwo festhalten...“, würge ich keuchend hervor und versuche die Übelkeit niederzukämpfen. Mein Bruder heult frustriert „Du hast alles kaputt gemacht! Immer! Immer musst du mir meinen Spaß verderben!“ Wütend verpasst er mir eine schallende Ohrfeige und wimmert sofort schmerzerfüllt. Ich schüttle resigniert den Kopf und reibe mit der anderen Hand unsere brennende Wange. „Du bist so ein Idiot...“

Wenigstens kann ich wieder einigermaßen klar denken. Mein seltsamer Anfall scheint vorübergegangen zu sein und mein Hirn hat sich weitestgehend strukturiert. Allerdings wird mein Körper von bestialischen Schmerzen gepeinigt und eine schreckliche Erschöpfung sitzt in jedem einzelnen Knochen. „Du solltest vorsichtiger mit ihm umgehen, wir haben nur einen!“, stöhne ich und rapple mich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf. „Weichei.“, erklingt prompt die wenig kreative Antwort. Ich ignoriere ihn geflissentlich.

Meine Augen haben sich mittlerweile an die miserablen Lichtverhältnisse gewöhnt und im schummrigen Dämmer offenbart sich mir ein unschönes Gemälde, im Stile horrorinspirierten Surrealismus. Im ziemlich ungesunden Endstadium. Die zerfetzten und vollgesogenen Überreste der Zwangsjacke liegen in der Ecke, nebst vier leblosen Körper, einige noch mehr, andere weniger in einem Stück. Das Blut ist bis an die Decke gespritzt und tropft, tropft, tropft schwermütig in den schwarzen Teich, der sich am Boden gebildet hat. Wie dunkle Inseln ragen die Kadaver aus ihrem selbstgeschaffenen toten Meer...

„Das ist verdammt kitschig!“, sage ich abfällig und wende meinen Blick von dem schauderhaft unästhetischen Szenario ab. „Wie immer mangelt es dir an jeglichem Sinn für subtile Kunst.“

Phobos grunzt genervt. „Und dir fehlt jeglicher Sinn für die Realität! Zwei von den Maden konnten übrigens türmen...“

Ich betrachte die Leichen noch einmal genauer. Vier Männer mittleren Alters. Maria und Freeman sind also noch am Leben.

„Scheiße!“, fluche ich ungeniert. „Lass uns abhauen!“


17. Akt – Wieder nach draußen


Wir hetzten durch die feuchtkalten Gänge. In engen Windungen weiter und weiter, zurück in die Richtung aus der wir gekommen sind. Das klebrige Blut stinkt bis zum Himmel, allerdings nicht schlimmer als der Geruch von Fäulnis und Fäkalien, der diesem Ort so übel anhaftet. Dieser Gestank und das ganze, geballte Elend der Menschheit scheinen in die Grundfesten des Gebäudes gesickert zu sein und fütternd das bestialische Treiben an der Oberfläche mit Angst und Irrsinn.

„Würden mich diese Leute hier.... auch nur einen feuchten Kehricht interessieren...“, keuche ich zwischen zwei Atemstößen. „Würde ich denen... Amnesty International auf den Leib hetzten!“ Phobos knurrt spöttisch. „Uuuh, Deimos der Wohltäter der Menschheit!“

„WÜRDE es mich interessieren!“, betone ich entnervt und beende damit diesen inhaltslosen Dialog. Wo ist nur dieses verdammte Kind?!

Plötzlich peitschen Schüsse durch den Gang.

„SCHEIßE!“, fluche ich abermals und ducke mich im Rennen zusammen. Die wollen mich anscheinend lieber sofort töten als entkommen lassen! „Bleib stehen!“, donnert die Stimme der jungen Frau durch den Tunnel und erneut fallen Schüsse. Dieses mal streift mich eine Kugel an der Schulter, zerfetzt die Haut und spritzt mein kostbares Blut auf das moosbewachsene Mauerwerk. Ich beiße die Zähne zusammen und hetzte weiter, Haken schlagend wie ein Karnickel auf der Flucht vor den Jägern. Ob Maria gegen den Willen Freemans handelt? Ein kleiner, persönlicher Rachefeldzug? Ein bitteres Lachen steigt in meiner Brust auf, verendet jedoch in meiner Kehle und verklingt ungehört. Lange macht meine Lunge diese Rennerei nicht mehr mit!

„Stirb doch endlich, du verdammter Hurensohn!“, heult Maria hinter mir und ballert wie eine Wilde mit der kleinen Dienstwaffe herum. Wie unvernünftig...

Da der ganze Tag bereits ein kompletter Reinfall war, habe ich eigentlich nicht vor, heute noch drauf zu gehen. Meine Beine und mein Brustkorb brennen wie Feuer, trotzdem treibe ich meine übersäuerten Muskeln zu einem beeindruckenden Endspurt an, der mich förmlich in den Raum katapultiert, in dem unsere unglückliche Reise durch die Katakomben begonnen hatte. Ein kurzer Blick auf die massive Steinwand und mir wird klar, dass ich etwas wichtiges vergessen habe. „Scheiße...“, sage ich zum dritten und letzten mal. Sie haben mir Lunas Blut vom Gesicht gewaschen... und der ekelhafte Film mit dem ich jetzt bedeckt bin, ist so nutzlos wie ein Fahrrad ohne Räder. Ich sitze fest.

Die Waffe im Anschlag platzt Maria in den Raum, ein triumphierendes Grinsen ziert ihr verschwitztes Gesicht. „Du sitzt fest!“, ruft sie mit Genugtuung in der Stimme und richtet die Waffe auf meine Brust. Ich schließe genervt die Augen. „Ja ja ich weiß, dass dachte ich bereits...“

Ich senke den Blick, atme tief ein und breite die Arme aus. „Nun drück schon ab. Schließlich hast du einen Vater zu rächen...“

Kurz verharrt sie, stockt, den Finger um den Abzug gelegt. Verschwommen nehme ich ein Wechselspiel von Hass, Angst, Verzweiflung und irrationaler Hoffnung auf ihren jugendlichen Zügen wahr... dann wird jeder Selbstzweifel von bodenlosem Hass verschlungen.

Sie betätigt den Abzug.

Ein Klicken.

Dann Stille.

Ich Grinse.

„Nein, nein, nein, NEIN!“, schreit Maria entsetzt und drückt verzweifelt auf dem Abzug herum. „Leer.“, stelle ich nüchtern fest und gehe langsam auf sie zu. Ihre Augen weiten sich und sie greift an ihren Gürtel, will nachladen, doch Phobos ist schneller. Wie eine Schlange schnellt er vor, packt ihre Handgelenke und bricht sie wie dünne Äste. Das Mädchen stößt ein grauenhaftes Kreischen aus, bricht zusammen und starrt, Rotz und Wasser heulend, auf ihre unbrauchbaren Hände. Dunkles Blut sammelt sich um die gebrochenen Knochen und zwei violette Hämatome erblühen in der farblosen Umgebung.

Ich gebe ihr eine schallende Ohrfeige und das Schluchzen verstummt. „Darf ich sie töten?“, fragt Phobos begierig, doch ich weise ihn harsch zurück. Mir ist etwas schmerzhafteres als der Tod eingefallen und ich knie mich mit sanftem Lächeln vor der jungen Frau auf den Boden. „Mein Tod hätte ihren Vater auch nicht wieder lebendig gemacht.“; sage ich leise und streiche ihr eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie sieht ihr so ähnlich...

Maria spitzt die zitternden Lippen und spuckt mir hasserfüllt ins Gesicht. Achtlos wische ich den Speichel ab und schnipste zur Bestrafung leicht gegen ihr rechtes Handgelenk. Sie stöhnt qualvoll, fängt aber glücklicherweise nicht wieder an zu heulen. Seufzend richte ich mich auf und blicke kalt von oben auf sie herab. „Sie sollten schnellstmöglich eine Krankenstation aufsuchen, vielleicht wachsen die Knochen dann wieder zusammen. Und wenn sie wieder einigermaßen bei Kräften sind, dann stellen sie Nachforschungen über die Patientin Nr. 1221 an. Zimmer 19, Trakt 1.“

Ich lächle noch einmal frostig, dann wende ich mich von ihr ab. Dieses Wissen wird sie zerstören. Hat die blöde Schnepfe auch verdient. Wer unvernünftig handelt, den bestraft das Leben!

Das Problem mit der massiven Steinwand löst sich im selben Moment, denn Luna steht plötzlich vor mir und starrt die wimmernde Frau aus großen blauen Augen unbeteiligt an. In ihren Händen hält sie einen Stapel zerknitterten Papiers. „Meine Werke...!“, stoße ich ungläubig hervor und zucke im selben Moment zusammen, als plötzlich Schritte und Stimmen an mein Ohr dringen. Maria schnaubt verächtlich. „Sie kommen... um mir zu helfen! Du bist geliefert!“, krächzt sie heißer und naive Hoffnung glänzt in ihren geröteten Augen.

Ich ignoriere sie und knie mich vor Luna hin, sehe ihr tief in die Augen. „Es tut mir leid.“, sage ich aufrichtig und ziehe dann das Messer. Ein schneller Schnitt und dunkelrotes Blut tröpfelt von ihrem Arm in meine hohle Hand. Mit zwei Fingern nehme ich die Flüssigkeit auf und schmiere ein rudimentäres Auge auf meine Stirn, das erste was mir in den Sinn kommt. Dann nehme ich das blutende Mädchen auf den Arm und betrete mit ihm zusammen den Riss.

In der anderen Welt entfährt Maria ein entgeisterter Schrei und eine Pistolenkugel bleibt in der Mauer stecken, hinter der wir verschwunden sind.



08:49, 26. Mai 2016 (UTC)TheVoiceInYourHead (Diskussion)

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