Deutsches Creepypasta Wiki
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Ich grüße Sie geschätzter Leser.

Eine ungeeignete Wortwahl, wie ich nun feststelle, denn ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, ob ich es zu schätzen weiß, dass Sie diesen Text hier lesen. Im Zweifel dient er Ihnen als Geständnis und besiegelt damit ein Schicksal, dass ich zu vermeiden ersuche.

Nun, wie dem auch sei, das Wort ist geschrieben, es möge bestehen bleiben.

Wo war ich?

Ich bin erfreutoder auch nicht, dass Sie auf diese Zeilen gestoßen sind, und hoffe in jedem Fall – selbst vom schlimmsten, nur erdenklichen Ausgangspunkt aus gesehen –, Ihrer Unterhaltung zu dienen.

Zugegeben, das ist vermutlich nicht, was Sie als geneigter Leser bei solch einem Titel erwarten, aber wenn Ihre Augen diese Absätze schon erkunden, will ich doch, dass sie wenigstens diesen Zweck für einen Moment erfüllen, ehe die Räder des Schicksals ihren Lauf nehmen und sich entweder folgenlos weiterdrehen oder mich unter sich zermalmen.

Ich schweife ein wenig zu sehr aus, nicht wahr?

Sie werden es überleben. Eine unumstößliche Tatsache. Vom Lesen, selbst des groteskesten Manifests, ist noch niemand gestorben. Dennoch steht es Ihnen selbstverständlich frei, die Lektüre jederzeit beiseitezulegen. Es liegt an Ihnen, meinen Gedanken bis zum Ende zu folgen oder sie schon zuvor als geschwafelten, unerträglichen Unsinn abzutun. Mir ist es, ehrlich gesagt einerlei, mir geht es ausschließlich darum, den rastlosen Gedanken, eine Form zu geben und auf diesem Wege, Erkenntnisse über mich selbst daraus zu erlangen.

Bevor wir uns aber meiner Gedankenwelt widmen, eine Definitionsfrage: Psychopathie.

Als Persönlichkeitsstörung reden wir hierbei im Fall von Betroffenen, von Personen, denen jede Fähigkeit für Empathie abgeht. Sie besitzen keinerlei soziale Verantwortung oder so etwas, das, als Gewissen bezeichnet werden könnte.

Klare Linien also, aber wie es in der menschlichen Gesellschaft häufig der Fall ist, sind solche, sobald sie in den Fokus der Massen geraten, selten das: eindeutig.

Das Kollektiv zeigt sich nur allzu schnell bereit, die abgesteckten Grenzen beiseitezuschieben und ein vorschnelles Urteil abzugeben.

Unabhängig von seiner tatsächlichen Körperchemie, ist der psychisch gestörte, der skrupellose Irre, der seinen pervertierten Fantasien nachgeht, häufig ein solcher, der von seiner Umwelt als Sündenbock gebrandmarkt wurde.

Verstehen Sie mich nicht falsch, geneigter Leser, der Angeklagte mag in vielen Fällen zurecht auf dem Richtstuhl sitzen. Womöglich hat er die grausamen Taten, die ihm angelastet werden, tatsächlich in vollem Bewusstsein und ohne den Hauch von Reue begangen, hat seinen niederen Trieben nachgegeben, diese auf grässliche Art befriedigt oder lebt so fernab jeder Realität, dass er sich dieser gar nicht gewahr ist und er in seinen Albtraumfantasien, rechtschaffen seine Opfer niederstreckte.

Aber egal ob oder nicht, einmal gefallen, nur ein einziges Mal ausgesprochen, wird der Titel bereitwillig aufgegriffen, auf ein Brandeisen geschmiedet und in die nackte Haut gepresst.

Sie können schreien, Sie können versichern, nichts Unrechtes getan zu haben, die Unschuld in Person zu sein ... Es mag der Wahrheit entsprechen und der eigentliche Täter gefasst werden, man wird sich dennoch an Sie erinnern, als ehemals Angeklagten, als potenziellen Psychopathen.

Denn die Sache mit dieser Störung ist doch die: Die Vergangenheit hat oft genug bewiesen, dass sie lange Zeit nicht auffällt. Es könnte jeder sein. Ein Nachbar. Ein Familienmitglied.

Und die Gesellschaft ist eine Herde blökender Schafe. Anfällig für Hysterie, die um sich greift, die die Gruppe als Ganzes erfasst und sie panisch, blindlings in eine beliebige Richtung, respektive Meinung, rennen lässt.

Seien Sie sich demnach einer Sache immer gewahr: Wir alle, sind nur einen Schritt davon entfernt, als Psychopath verurteilt zu werden. Wir alle sind potenzielle Psychopathen, da es nicht ausschließlich unsere Taten, sondern zu weiten Teilen die Gesellschaft ist, die darüber richtet. Zumal wir nicht vergessen sollten, dass die Definition an sich, schon menschgemacht ist ...

Jetzt aber genug davon. Ihnen gelüstet es freilich längst nach etwas Konkreten. Dem Palaver ist Genüge getan worden, Sie wollen Blut sehen.

Schämen Sie sich nicht, geneigter Leser, Ihre Neugierde ist nur allzu menschlich. Wie oft bekommen Sie schon die Gelegenheit, einen Ausschnitt aus dem Denken und Fühlen eines dem Schein nach kranken Geistes zu erhalten? Seine dunkelsten Geheimnisse, aus erster Hand zu ergründen? Die Opfer, die seinen rotgetränkten Pfad zieren, bis ins Detail zu zählen?

Tja, was das anbelangt, muss ich Sie enttäuschen.

Die Bezeichnung potenzieller Psychopath kommt nicht von ungefähr. Ich meine, per Definition wäre es durchaus möglich, dass wir das begleitende Adjektiv streichen können – dies darf, sofern er sich dazu geneigt fühlt, ein Experte seines Fachs beurteilen – aber gesellschaftlich, habe ich mir diesen Titel lange nicht erarbeitet.

Was ich damit sagen möchte: Ich habe mir bislang keine Tat zuschulden kommen lassen, die das Interesse der Allgemeinheit hinreichend geweckt hätte.

Wozu dann der ganze Aufriss, fragen Sie sich? Nun, obschon es mittlerweile deutlich sein sollte, möchte ich noch einmal auf den Titel hinweisen.

Eine weitere Definitionsstunde, gefällig? Potenzial: Nach dem Duden, „(nach den Gegebenheiten) möglich (aber nicht tatsächlich gegeben)“.

Man könnte mich – und ich behaupte mal, diese Rolle nicht allein auf der Welt auszuleben – als Schrödingers Psychopath bezeichnen. Ich bin ein wahnhafter Irrer, eine tickende Zeitbombe, ein blutrünstiger Schlächter. Aber gleichzeitig auch ein langweiliger Normalo, der keiner Fliege was zuleide tut.

Warum ist das so, fragen Sie sich? Warum ödet der Kerl mich so an? Mir wurde Irrsinn, Tod und Verderben versprochen, nicht das seitenlange Schwadronieren eines Typen, der mir morgens meine Brötchen abkassiert und dessen größte tägliche Errungenschaft darin besteht, nicht versehentlich zwei verschiedenfarbige Socken anzuziehen. Ich will mein Geld zurück!

Wie ich bereits sagte: Sie können jederzeit aufhören zu lesen. Aber was, fragen Sie sich, wenn da nicht doch dieses kleine blutige Massaker am Ende wartet? Wenn die minutenlange Quälerei meiner überstrapazierten Nerven, sich schlussendlich doch ausgezahlt hätte und ich, durch frühzeitiges Abbrechen, den spannendsten Teil verpasse?

Sie werden es nur auf eine Art erfahren ...

Weiter im Text und damit zu ein paar Worten, zu meiner simpel gestrickten Person: Mein Name ... tut nichts zur Sache. Mal ernsthaft, wenn ich tatsächlich mal durchdrehe, sollte ich meine Spuren nicht gleich mit Farbe hinter mir auslegen ...

Jedenfalls bin ich wirklich der Verkäufer, der Ihnen morgens an der Theke mit gleichgültiger Miene, Ihre Backwaren rüber schiebt und das Geld entgegennimmt, wobei er gelegentlich ein paar Cent unterschlägt – hey, ich muss schließlich auch von was leben und Sie würden sich wundern, wie schnell sich sowas läppert!

Darüber hinaus gibt es im Grunde nicht viel zu sagen. Schauen Sie sich Ihr normales Leben anoder das Ihres Nachbarn, falls Sie, keine Ahnung, den Mount Everest bestiegen haben oder so – und Sie kennen meines.

„Laaangweilig“, höre ich wiederum Sie murmeln. Jaja, ich komme ja schon zum spannenden Teil ...

Sie kennen diese Momente, entweder aus eigener Erfahrung oder aus Erzählungen. Es ist dunkel, Sie sind auf dem Weg ins traute Heim, keine oder nur wenig Menschenseelen auf den Straßen und dann ist da dieser Typ, der mit heruntergezogener Kapuze scheinbar aus dem Nichts auftaucht, entweder Ihnen entgegenkommt oder hinterherläuft.

Sie reden sich ein, hey, ist nur ein weiterer Spaziergänger, aber in Ihrem Unterbewusstsein regt sich dennoch diese leise Sorge: Was, wenn nicht? Was, wenn er jeden Moment ein Messer zückt, und ...?

Aber das ist natürlich Unsinn. So etwas geschieht nicht. Nicht ihnen zumindest. Und vermutlich haben Sie Recht. Klar, es kommt vor, aber nicht so häufig, dass die Menschen sich nicht mehr auf die Straße trauen würden. Ich kenne keine Statistiken, aber ich schätze, Ihre Chancen eine Nacht da draußen zu überleben, relativ hoch ein.

Ich meine, Sie könnten auf jemanden wie mich stoßen, dann wären Sie zu neunundneunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit sicher.

Es gibt da diesen Spruch, der darauf abzielt, dass wir potenziell alle täglich unter der Beobachtung von Massenmördern stehen könnten, die sich dann aber denken: „Nein, diese/r nicht.“

Zynische Menschen teilen die Welt gern in zwei Klassen ein: Wölfe und Schafe.

Die meisten sind dieser Anschauung nach Letzteres. Eine Herde, ein Kollektiv, das sich dessen völlig unbewusst, stets in die gleiche Richtung strömt, immerzu der Masse folgt und Schutz in dieser sucht da das alleingelassene oder gar ausgestoßene Individuum nur allzu leichte Beute darstellt.

Der zynischen Betrachtung nach, würden die Wölfe diese Herde zu ihrem eigenen Vorteil lenken, aber auf die will ich überhaupt nicht hinaus.

Es sind die Jäger, die wir uns anschauen wollen, die gezielt ihre Opfer aus dem Strom herausfischen, zum Zweck der eigenen Befriedigung, um Terror unter den umliegenden Tieren auszulösen oder weil sie meinen, irgendeinen göttlichen (oder dämonischen) Plan zu erfüllen.

Diese Wölfe sind in der Regel in ein Schafspelz gekleidet. Wie schon zuvor gesagt: Ihr Nachbar, der beste Freund, die eigene Tochter ... Wir bemerken es nie und wenn, dann meist erst, wenn es längst zu spät ist, unzählige Tiere gerissen und zerfleischt worden sind, das einst weiße Fell sich blutig rot verfärbt hat und die Maskerade fällt.

Nun fragen Sie sich sicher, wie ich in dieses Schema hineinpasse – sofern Sie bis hierhin durchgehalten haben.

Es ist simpel. In Nächten, wie ich sie zuvor beschrieben habe, in denen ich gelegentlich der mutmaßliche Verfolger und doch nur ein unschuldiger Passant bin, komme ich nicht umhin mir vorzustellen, wie es wäre, der wahrhaftige Wolf zu sein.

Ein Gedankenspiel, dass Ihnen, geneigter Leser, vermutlich völlig fremd ist: Das Leben eines anderen zu greifen und mit Gewalt zu nehmen. Der Überlebenswille des Menschen drängt ihm für gewöhnlich die alte Lebensweisheit auf – was du nicht willst, dass man dir tut, das tue niemand anderem.

Sie würden wohl ungern von einem Psychopathen – oder sonst wem – ermordet werden wollen, weswegen Sie selbst es nie in Erwägung zögen, dergleichen einem anderen anzutun.

Ich für meinen Teil kann mich nicht mit solchen Überzeugungen brüsten. Es ist nicht so, dass sich in mir aus Prinzip der Wunsch regt, das Leben meinen Mitmenschen streitig zu machen, es ist lediglich ... eine Erfahrung.

Eine, nach gängigen moralischen Vorstellungen, durchweg verwerfliche, aber mein Kompass schlägt in diesem Fall in die entgegengesetzte Richtung aus.

Der springende Punkt ist nur, ich bin kein Wolf, ich würde dergleichen aus verschiedenen Gründen niemals wagen. Ich bin ein Schaf, wie Sie es aller Wahrscheinlichkeit nach sind, kleide mich im Gegensatz zu Ihnen aber in meiner Vorstellung gern in das Gewand der Bestie. Ein Schaf im Wolfspelz quasi.

Ich frage Sie, was in Ihrem Leben ist Ihnen wichtig? Familie? Freunde? Karriere? Ein übergeordnetes Hobby, dass Ihren Alltag ausfüllt, zur Arbeit aber gleichwohl einem Ziel, einem Sinn mutiert? Die Welt sehen? Diese seltenen Momente, in denen Sie innehalten, in denen alles um sie herum stillzustehen oder zumindest stark verlangsamt zu sein scheint? Sie atmen tief durch, lassen Ihre Umgebung auf sich wirken, erfassen sie mit all Ihren Sinnen und leben für ein paar Sekunden, in vollem Bewusstsein dessen?

Vermutlich ist es ein Mix aus all diesen Dingen und mehr.

Sie mögen mir, nach meinem bisherigen Bericht keinen Glauben schenken, aber mir ergeht es genauso. Ich schätze mein Leben, so wie es ist. Es hat seine Tiefen, ohne Frage, diese grauen Phasen, die sich scheinbar endlos dahinziehen, wie eine Nulllinie. Aber dafür wissen wir die schönen Augenblicke umso mehr zu schätzen, nicht wahr?

Esoterischer Nonsens? Vielleicht. Und dennoch der Grund, warum Sie, geneigter Leser, weiterhin atmen.

Denken Sie mal darüber nach. Wenn es diese Aspekte der Existenz, an die wir uns klammern, nicht gäbe, welche moralische Grenze sollte uns dann daran hindern, zu leben wie es uns beliebt?

Wenn ich durch einen Fehler, denn ich gewiss begehen würde, sollte ich mich je dazu entschließen, meiner Neugier nachzugehen, im Gefängnis lande und den Rest meiner Zeit hinter Gittern versauere, dann ist es eben diese Aussicht, die mich innehalten und nachts tatenlos an Ihnen vorbeiziehen lässt.

Würde dieses Risiko nicht bestehen, wären Sie vermutlich längst tot.

Die grausam kalte Schönheit des Lebens und unser Wille dazu, unser eigenes in diesem Kontext zu erhalten, sind die Ursprünge der Gesetze, die wir uns auferlegen, um uns nicht gegenseitig und selbst zu vernichten. Ironischerweise tun wir zwar genau das, dennoch tagtäglich, aber das Ausmaß wäre umso immenser, wenn da nicht die gelegentlichen Hoffnungsschimmer am Himmel prangen würden.

Sind sie deswegen sicher, vor mir oder anderen Potenzialen? Mitnichten.

Ein Schaf, bleibt ein Schaf, bleibt ein Schaf und dennoch ... Die Maske des Wolfs grinst mir immer regelmäßiger entgegen. Sie lechzt nach Blut.

Womöglich bin ich doch per Definition ein Psychopath und rede mir nur der Selbsterhaltung wegen ein, aus bedeutsamen Gründen nicht morden zu dürfen. Aber was ist schon ein Leben, wenn es nicht in vollen Zügen ausgekostet wird? Und immerhin: Einer Strafe auf Zeit kann entgangen werden. Nach einem ausgiebigen Exzess ist nur ein finales Opfer nötig. Ein letzter Mord. Die Jahre, die ich dadurch einbüße? Geschenkt, wenn ich dafür gelebt habe. Außerdem wären die genommenen, um ein Vielfaches höher ... Ein mehr als fairer Tausch also.

Ich schätze, ich werde jetzt ein wenig in mich gehen und über einiges sinnieren.

Was Sie anbelangt, geneigter Leser: Entweder diese Zeilen hier sind leeres Gewäsch, die Ausgeburt eines leicht entrückten Verstandes oder aber Letztenendes tatsächlich ein Geständnis. In letzterem Fall wird man sagen: „Er war so ein netter, junger Mann. Wir hätten nie gedacht ...!“ Tjaja, wie so viele Male zuvor ...

So oder so, möchte ich Ihnen raten, Ihre Haustür heute Abend lieber drei Mal darauf zu kontrollieren, ob sie abgeschlossen ist. Nicht, dass der blökende Nachbar am Ende doch ein Schlachtermesser hinter seinem Rücken bereithält ...

Und nun, gehaben Sie sich wohl.

Ich wünsche angenehme (Alb­-)Träume.

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