Hörst du die Schatten wispern?
Im Zwielicht deinen Namen flüstern?
Sie verlangen nach dir.
Hörst du sie schreien?
Ich höre sie. Langsam strecke ich die Hand nach dem Messer aus,
dessen reine Klinge das Licht reflektiert und mir mein Spiegelbild
zeigt. Netzartige Narben ziehen sich über meinen gesamten Arm, vor
einiger Zeit habe ich diese mit dem nun vor mir liegenden Messer in
meine zarte Haut geritzt. Geholfen hat es nicht. Es ist vielmehr noch
schlimmer geworden, und die Schatten noch lauter. Ich weiß, dass sie
auch jetzt da sind, leise, fast unhörbar flüstern sie meinen Namen.
Beinahe kann ich spüren, wie sie mit ihren langen Krallen meine Haut
aufschlitzen, nach meinem Blut lechzen. Und ich weiß, dass ihnen mein
Blut nicht reichen wird, dass sie nach mehr verlangen. Nach viel mehr.
Sie verlangen nach meinem Tod. Und den werde ich ihnen geben, damit sie
endlich aufhören mich zu quälen.
Es ist das Einzige, was sie verstummen lässt... So muss es sein, es muss wenigstens diesen letzten Ausweg geben. Es ist das Einzige, was mir geblieben ist, diese Hoffnung auf Erlösung, das Letzte, an das ich mich verzweifelt klammern kann. Mit zitternden Fingern umfasse ich den kühlen Griff des Messers, führe es zu meinem Herzen. Ich zögere, schlucke hart. Die Schatten, sie wissen, was ich gleich tun werde. Sie schreien danach. Kreischen nach meinem Tod, den ich ihnen bereitwillig geben werde. Tief durchatmend drücke ich das Messer fester an meine Haut.
Wie es angefangen hat weiß ich nicht mehr genau. Seit Wochen, vielleicht sogar seit Monaten, waren sie in meinem Zimmer gewesen, hatten lauernd in den Ecken gesessen und mich gierig angestarrt. Ich hatte sie ignoriert, hatte krampfhaft an dem Gedanken festgehalten, dass ich sie mir nur einbildete, dass sie lediglich Auswüchse meines überanstrengten Gehirns waren. Es hatte nicht geholfen. Sie hatten weiter nur dagesessen, regungslos, und hatten mich mit ihren trüben Augen fixiert, jede meiner Bewegungen genauestens beobachtet. Es war schwer für mich gewesen einzuschlafen, da sie sich sogar in meine Träume schlichen, als stumme Beobachter meiner Fantasien. Es wurde immer schlimmer.
Sie gaben sich nach einiger Zeit nicht mehr damit zufrieden, mich nur anzustarren, sondern sie begannen, um mich herum zu schleichen und mir Dinge ins Ohr zu flüstern, die schrecklicher sind als alles, was ich jemals gehört habe.
Ich habe es niemandem erzählt. Ich habe für mich behalten, dass die Schatten mich nachts heimsuchen, mir schreckliche Dinge ins Ohr flüstern und ich habe verschwiegen, dass sie jede Nacht ein Stückchen näher kommen.
So nah wie heute waren sich noch nie. Das Messer ritzt lautlos meine Haut auf, lässt das dunkelrote Blut aus der klitzekleinen Wunde schießen und die Schatten, die mich mittlerweile umringt haben, noch lauter kreischen. Hört auf, denke ich. Hört endlich auf! Stille Tränen bahnen sich ihren Weg über mein Gesicht und hinterlassen salzig schmeckende Spuren. Sie sollen aufhören! Bitte... Als hätten sie mein stummes Flehen gehört, werden sie nur noch lauter. Ihre Schreie dringen gewaltsam in meine Ohren ein, hallen in meinem Kopf wider. Ich umklammere das Messer, bis meine Knöchel weiß anlaufen. Diese Stimmen beherrschen jede Zelle meines Körpers, sind bis in den verworrensten Winkel meines Geistes vorgedrungen.
Ich halte das nicht mehr aus! Ich kann es nicht länger ertragen...
Mit einem markerschütternden Schrei, der ungewollt meiner Kehle
entrinnt, hole ich aus und ramme mir das Messer bis zum Heft in die
Brust. Erst Sekunden später realisiere ich, was ich getan habe. Wie
paralysiert starre ich auf das in meiner Brust steckende Messer, dessen
Klinge sich in mein Herz gebohrt hat und mich innerlich verbluten lässt.
Urplötzlich, ohne dass ich es vorrausgesehen habe, errreicht mich eine
brennende Welle des Schmerzes, die sich sengend heiß durch meine Adern
frisst. Vor meinen Augen bilden sich flimmernde schwarze Punkte, die
sich immer weiter vervielfältigen und mir schließlich die Sicht nehmen.
Die Schreie der Schatten steigern sich bis ins Unermessliche, werden zu
einem rauschenden Orkan von Stimmen, die in unbekannter Sprache auf mich
einreden. Der Schmerz ebbt allmählich ab, und ich falle in ein tiefes
Loch, lasse meinen sterbenden Körper hinter mir zurück. Die Stimmen
werden leiser, verstummen schließlich ganz.
Erlösende Stille breitet sich in mir aus. Endlich sind sie weg, endlich
sind sie befriedigt. Ich falle und falle, weiter hinein in diese
bodenlose, unendliche Schwärze. Ich bin glücklich, so glücklich wie
schon lange nicht mehr. Ich koste das Gefühl ganz und gar aus, bis auch
dieses verschwindet und sich endgültige Kälte in meinem Körper
ausbreitet.
Lass die Schatten nie zu nahe an dich heran. Lass dich von ihren Stimmen nicht leiten, wenn sie im Schutze der Nacht um dein Bett schleichen und leise deinen Namen flüstern. Höre ihnen nicht zu, wenn sie dir die schrecklichsten Dinge ins Ohr flüstern.
Obwohl... vielleicht ist es längst zu spät. Vielleicht sind sie ja schon bei dir.