Deutsches Creepypasta Wiki
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„Na Kleine? Was bringt ein so hübsches Mädchen wie dich dazu in so einer Spelunke Trübsal zu blasen?“ Ich werfe dem Kerl, der bemüht lässig neben mir am Tresen lehnt einen kurzen, unscharfen Blick zu. Was mich dazu bringt mir mitten am Nachmittag das Hirn wegzusaufen? Was mich die letzten Tage dazu gebracht hat genau das gleiche zu machen. Die 5 Menschen, die vor meinen Augen verreckt sind. Die Tatsache, dass es meine Schuld war. Dass ich einen von ihnen dazu noch gefoltert habe. Zucke zusammen, als ich es wieder höre. Das Knacken, als seine Finger brechen. Sein Wimmern. Sein Flehen nach Gnade. Sein Betteln, dass es aufhört.

„Verpissdich.“ Ich nehme einen tiefen Schluck aus meinem Glas. Warm rinnt die Flüssigkeit meine Kehle hinab. Schon lange ist der weiche Nebel vom Anfang einem Schwindelgefühl gewichen. Bei jedem Drehen meines Kopfes fühlt es sich an, als würde mein Gehirn einen halben Meter hinterherschweben. Gegen die Schuldgefühle hilft es allerdings nicht. Eher im Gegenteil. Was bringt es, sich zu betrinken, wenn man sich trotzdem beschissen fühlt? Vielleicht erfahre ich es, wenn ich noch ein wenig weiter trinke. Anscheinend gibt der Typ nicht so einfach auf. „Ach komm schon, warum so abweisend? Ich bin mir sicher, wir beide könnten eine Menge Spaß haben.“ 

Er rückt unangenehm nah. Seine verschwitzte Hand liegt an meinem Hals. Wieder drängt sich die Erinnerung an eine andere Hand an die Oberfläche. Eine andere Stimme. Die Wut kämpft sich durch den Alkoholnebel. Kurz blitzt in mir der Gedanke auf, was Victor mit ihm machen könnte. Ein einziges Wort von mir, und dieser Wurm würde sich auf dem Boden winden. Bettelnd. Wimmernd. 

Wie Nacktschnecke. 

Sein Bild trifft mich wie eine Ohrfeige. Was zum Teufel passiert nur mit mir? Nie wieder. Das habe ich mir geschworen. Tief atme ich ein. „Ich…ssagde…“ Der Rest des Satzes bleibt mir in der Kehle stecken. Blanker Horror spiegelt sich in seinen Augen, während er auf etwas hinter meinem Rücken starrt. Nein, nein, nein, nein, nein! Ohne darüber nachzudenken, schubse ich ihn. Er stolpert. Der Blickkontakt bricht ab.

Offenbar verwirrt schüttelt er den Kopf. Nach einem weiteren Blick über meine Schulter nimmt er die Beine in die Hand. Kurz sehe ich ihm nach. Als ich mich umdrehe, weiß ich schon, was mich erwartet. Den Schauer kann ich dennoch nicht unterdrücken. Eisblaue Augen sehen mich an. Ein kleines Stimmchen in meinem Kopf rät mir, vorsichtig zu sein, aber Wut und Alkohol übertönen es mühelos.

„Was‘enau ssollte das?“ 

Er steht in beinahe derselben Haltung da wie der Typ gerade. Nur, dass es bei ihm weder bemüht noch albern aussieht. Im Gegenteil. Desinteressiert schweift sein Blick durch die abgeranzte Bar. Spelunke trifft es eher. Es war die erste, die ich gefunden habe, nachdem ich in dem Motel eingecheckt hatte. Das vierte mittlerweile. Und keinen Deut besser als die anderen. „Ein Teil unseres Deals ist, dich zu beschützen. Wie ein guter Wachhund habe ich die potenzielle Bedrohung ausgeschaltet, bevor sie dir schaden konnte.“  

Ich glaube ihm kein einziges Wort. Zwar stimmt das mit dem Beschützen, aber sonst hat er keinen Finger gerührt, außer ich habe es ihm befohlen oder schwebte in unmittelbarer Gefahr. Stand das mit den Befehlen eigentlich auch in unserem Deal? Ich weiß es nicht mehr. Jetzt gerade ist es mir auch egal. Wütend starre ich ihn an. Auch wenn ich dabei versuche, Blickkontakt zu vermeiden.

800px-Old Crow

„Der Kerl war doch nich‘ gefährlich! Ein gan… gansz normales Arschloch, mit dem wär‘ich selber fertigeworden.“ Er mustert mich stumm. Sein Blick spricht Bände. „Da du mich bei deinem letzten Ärgernis erst spät gerufen hattest, dachte ich, es wäre besser, selber einzuschreiten. Außerdem bist du betrunken. Und dann auch noch von einem Old Crow.“ Er rümpft angeekelt die Nase und schiebt mein mittlerweile wieder leeres Glas mit den Fingerspitzen von sich weg. Zugegeben, der billige Bourbon erinnert geschmacklich sehr an einen Allzweckreiniger, aber er wirkt. Und das schnell. Trotzig recke ich das Kinn vor. „Un‘ wenn? Was geh‘s dich an? Du solls mir helfen, mich nich‘ beglucken. Jezz sei ein… ein braves Hundchen un‘ geh wieder ins Körbchen, ich‘ab heut Abend echd kein‘ Nerv für dich.“ Das warnende, kleine Stimmchen hält sich eine Waffe an den Kopf und drückt ab. Mir ist es egal. Vielleicht will ich ihn auch provozieren. Ich weiß es nicht. 

Das leichte Grinsen, das sonst immer auf seinen Lippen liegt, ist verschwunden. Sein stechender Blick bohrt sich in meinen Schädel. „Vorsicht, meine Liebe. Selbst, wenn der Alkohol aus dir spricht, solltest du dir im Klaren darüber sein, was du sagst. Und vor allem zu wem.“ Seine Präsenz schlägt wie eine Welle über mir zusammen. Spüre etwas in mir nachgeben. Als würde plötzlich ein Damm brechen, schießen mir heiße Tränen in die Augen. „GottimHimmel, ich halt‘s nich‘ mehr aus!“ Knalle meine Stirn gegen den Tresen. Es ist zu viel! Es ist einfach alles zu viel! Die Flashbacks. Die ewige Angst davor, gefunden zu werden. Victors Präsenz, die ständig wie ein Amboss auf mir lastet und mich nach unten zieht. Sein Spott, der ihm aus jeder Pore trieft.

„Ich denke nicht, dass Er irgendetwas damit zu tun hat.“ Apropos spöttische Bemerkungen. „Das is mir vollkomm egal! Es soll aufhörn! Die gansze Scheiße soll einfach vorbei sein. Ich will mein Leben wiederham! Keine komischen Schips. Keine Männer in weißen Vans. Einfach nur mein wundervoll beschis‘nes, normales Leben!“ Ich werde immer lauter. Selbst wenn sich einige der Gäste umgedreht hätten, was keiner tut, wäre es mir gleich gewesen. 

„Dann sag es.“

Seine Antwort verwirrt mich. Ich hatte mit Spott gerechnet. Mit unterschwelligen Drohungen, aber nicht damit. Will er, dass ich bettle? Ist es das? Soll er haben. Meine Würde ist sowieso nur noch ein Häuflein, in Alkohol getränkter, Asche. „Was sagen? Dass’u mir helfen solls? Oh, bitte, bitte hilf mir.” Er seufzt schwer. Oh ja, du armes, armes Monster. Du hast es am schwersten von uns allen, was? Musst dich mit diesem hilflosen, kleinen Mädchen herumschlagen. Seine Stimme ist leise, als er wieder anfängt zu reden. Die Herablassung darin schürt meine Wut nur noch weiter. “Du musst wirklich lernen, dich präziser auszudrücken. Wenn du möchtest, dass ich dein kleines Problem löse, dann sag es.” 

Es dauert einen Augenblick, bis seine Worte zu mir durchdringen. Kann es so einfach sein? Hätte er mir das nicht früher sagen können? Mühsam unterdrücke ich die Wut. Versuche meine Gedanken zu ordnen. ‚Präziser ausdrücken‘, also. Na dann. „... Vicdor, ich möchte, dass’u… dass’u dafür sorgs’, dass‘ie Firma, die mich verfolgd… damit aufhörd un… mich in Ruhe lässt.” Er lächelt, als wäre ich ein kleines Kind, das zum ersten Mal den Malstift verwendet, anstatt ihn zu essen. Ich muss meinen ganzen verbliebenen Verstand zusammenkratzen, um ihn nicht wieder anzuschnauzen. Ein wenig hänge ich doch an meinem Leben.

„Es geht doch. Der Chip.“ Starre auf seine ausgestreckte Hand. Die Konzentration von eben ist verpufft. Der Alkohol liegt wieder wie ein schwerer Nebel auf meinem Hirn. Ich gebe die geistreichste Antwort, die mir einfällt. „Hä?“ Wieder ein Seufzer. Ich scheine ihn eine Menge Geduld zu kosten. Gehässige Freude breitet sich in mir aus. Armes, armes Monster

„Der Chip, den du in einem Geheimfach an deinem BH versteckst. Gib ihn mir.“ Woher er das weiß, frage ich gar nicht erst. Mit ungeschickten Bewegungen fummle ich den Chip aus seinem Fach. Nicht gerade unauffällig, aber offenbar scheint keinem der Kerle in der Bar meine kleine Aktion aufgefallen zu sein. „… Hier.“ Ich lasse den Chip in seine Hand fallen und vermeide dabei tunlichst diese zu berühren. „Vielen Dank.“ Der Chip verschwindet in seiner Manteltasche. Victor erhebt sich. 

„Wo gehs‘u hin?“ Auch wenn ich nicht wirklich mit einer Antwort rechne, siegt doch die Neugier. Ich bin überrascht, als er mir dennoch antwortet. „Herausfinden, wer die Köpfe hinter Morgan Pharmaceuticals sind und mit ihnen… reden.“ Beiläufig nimmt er einen Schluck aus dem Glas, das der Barmann ihm hingestellt hat. Warte. Wann hat er das bestellt? Was ist das für eine Firma? Ist wirklich sie es, die mich verfolgt? Verwirrung legt meinen ohnehin schon angeschlagenen Verstand lahm. „Aber woher… wie has‘u…“ Unfähig, einen vollständigen Satz herauszubringen, klappe ich meinen Mund wieder zu. Victor leert das Glas und wendet sich mir wieder zu. In seinen Augen ist dieselbe Kälte wie immer. Ich habe aufgehört, darin nach etwas Menschlichem zu suchen.

„Es könnte ein wenig dauern, schließlich konnte ich Nacktschnecke, wie du ihn nanntest, nichts Genaueres entlocken, bevor du mich ihn hast töten lassen. Versuch nichts allzu Dummes anzustellen, während ich weg bin.“ Bevor ich zu einer Antwort ansetzen kann, ist er schon verschwunden. Überheblicher Mistkerl. Morgan Pharmaceuticals, also. Mir fehlt die Kraft, weiter darüber nachzudenken. Auf einen Wink stellt mir der Barmann eine neue Flasche des Allzweckreinigers hin. Vielleicht klappt es ja diesmal mit dem Vergessen.


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Geheime Tonbandaufnahmen einer vertraulichen Aufsichtsratssitzung von Morgan Pharmaceuticals. Sichergestellt im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen zum Tod von Samuel Morgan, erster Vorsitzender von Morgan Pharmaceuticals.


-„Guten Abend, meine Herren. Es freut mich, dass sich alle eingefunden haben. Robert! Bitte schließen Sie die Tür und achten Sie darauf, dass wir ungestört bleiben. Vielen Dank. - Nun, Gentlemen, kommen wir zur Sache. Wie geht es mit der Säuberung unter den Arbeitern voran, Mr. Yang?“ 


„Fast erledigt. Die letzten Angestellten, die mit Graham in Kontakt standen, wurden überprüft und bei Bedarf entfernt.“ 


-„Collroy, gibt es Neues aus Ihrer IT-Abteilung?“


„Das Netz ist noch sauber. Bis jetzt scheint niemand etwas veröffentlicht zu haben.“

-„Gut. Wie steht es um diese Miss Crowe? Irgendwelche Neuigkeiten dazu, Stephens?“


„Keine. Nachdem Mr. Limax so offensichtlich versagt hat, ist sie untergetaucht. Wir haben eine ungefähre Spur, aber nichts Konkretes.“


-„Das ist inakzeptabel. Wir treffen uns jetzt schon zum dritten Mal. Sie ist der letzte lose Faden in dieser Misere. Wenn wir sicher sein wollen, dass diese Dateien niemals an die Öffentlichkeit geraten, muss sie ruhiggestellt werden! Vorschläge?“


„Sie könnten fragen.“


-„Was zum… Wer zur Hölle sind Sie?! Wie sind Sie hier reingekommen? Robert!“


„Bemühen Sie sich nicht, Robert! Sie können sich ruhig zu uns gesellen. Bitte, setzen Sie sich! Um Ihre Fragen zu beantworten, Mr. Morgan: Mein Name ist Victor, und reingekommen bin ich, wie jeder andere, durch die Tür. Was Sie viel eher fragen sollten, ist, was ich für Sie tun kann.“


-„Ach, sollte ich das, ja? Bob! Ruf den Sicherheitsdienst. Sie sollen diesen Verrückten rausschmeißen!“


„Sie können sitzenbleiben, Robert. Mr. Morgan, Sie sind äußerst unhöflich und haben noch dazu offenbar keine Ahnung, mit wem Sie es hier zu tun haben. Da ich aber an einer schnellen Lösung interessiert bin werde ich fürs Erste darüber hinwegsehen. Jedenfalls solange Sie sich zu benehmen wissen.“


-„Mit wem ich es hier zu tun habe? Was glauben Sie eigentlich, mit wem Sie es hier zu tun haben? Ich bin…“


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„...Samuel Morgan, Vorstandsvorsitzender von Morgan Pharmaceuticals und Sohn des Firmengründers Titus Morgan, dessen überlebensgroßes Abbild sich auf dem Ölgemälde hinter Ihnen befindet. Ein Mann, der das liederliche Geschäftsgebaren seines Sohnes sicher ebenso verabscheuen würde wie dessen Privatleben. Anstatt eine Familie zu gründen, genießen Sie, Mr. Morgan, lieber die Gesellschaft von Prostituierten, denen Sie regelmäßig beträchtliche Summen zukommen lassen, damit niemand etwas von Ihren perversen Neigungen erfährt. Die Herren zu Ihrer Rechten hier sind Mr. Fitz, stellvertretender Vorsitzender, und Mr. Yang, Personalleiter von Morgan Pharmaceuticals. Mr. Fitz und Mr. Yang sind beide verheiratet. Das hätte Ihrem Vater gefallen. Dass einer der beiden dem ehelichen Treuegelübde nicht allzu viel abgewinnen kann, weniger. Die Herren am Fenster sind Mr. Collroy, Chef der IT-Abteilung, und Mr. Stephens, Chef der Sicherheit. Die beiden führen seit einiger Zeit eine geheime Liebesbeziehung, von der sie fürchten, dass es sie ihren Job kosten könnte, sollte das jemals ans Licht kommen. Muss ich weitermachen, Mr. Morgan, oder werden Sie mir jetzt zuhören?“

-„… 

Sie meinten, Sie könnten etwas für mich tun?“

„Allerdings. Ich kann dafür sorgen, dass die Daten, die Sie sich so leichtfertig haben entwenden lassen vernichtet werden. Als kleine Gefälligkeit, gewissermaßen.“


-„Ich nehme an, Sie machen das nicht aus reiner Herzensgüte. Was verlangen Sie im Gegenzug?“


„Dass Sie alle Maßnahmen, die Sie gegen Miss Crowe eingeleitet haben, unverzüglich einstellen.“


-„Und was garantiert uns, dass Miss Crowe eventuelle Kopien nicht doch irgendwann online stellt?“


„Da wird Ihnen mein Wort genügen müssen, fürchte ich.“


-„Soweit kommt es noch! Dass ich dem Wort eines dahergelaufenen…!“ - „Sam, Vorsicht! Das Bil...“ - „Wa...? KRRA! “ - „Gütiger Gott!“

„Ich schätze, Morgan Senior hatte etwas gegen seine Wortwahl einzuwenden.“


„Er… er ist tot.“


„Sehr gut beobachtet. Bedauerlich. Es scheint, als hätte Mr. Morgans Vater selbst als Gemälde mehr Format, als sein missratener Sohn. Herzlichen Glückwunsch, Mr. Fitz, Sie sind der neue Vorsitzende von Morgan Pharmaceuticals! Um auf meinen Vorschlag zurückzukommen...“


„…“


„Mr. Fitz.“


„Was? Äh… I-Ich denke… Ihr Wort ist Sicherheit genug… W-Wenn Sie dafür sorgen, dass alle Daten zerstört werden, sehe ich keinen Grund die… die Maßnahmen… gegen Miss Crow weiter bestehen zu lassen.“


„Wunderbar. Ich wusste, dass Sie ein vernünftiger Mann sind, Mr. Fitz. Robert! Wenn Sie so gut wären, sich kurz zu mir zu begeben. – Kauen und schlucken, bitte.“

„I-Ich nehme an, das war der Chip?“


„Wieder gut beobachtet. Der einzig wahre, zuerst von Mr. Graham entwendet, danach Miss Crowe in die Hände gefallen und jetzt vom guten Robert verspeist. Weitere Kopien existieren nicht. Damit habe ich meinen Teil des Deals erfüllt. Sie sind dran, Mr. Fitz.“

„N-Natürlich. Stephens, rufen Sie Ihre Männer unverzüglich zurück und beenden Sie jede weitere Maßnahme, die gegen Miss Crow läuft, oder laufen sollte!“


„Es war eine Freude, mit Ihnen Geschäfte zu machen, Mr. Fitz. Meine Herren, ich empfehle mich.“


„…“


„Was, in Gottes Namen, ist gerade passiert?“


„Ich fürchte, Er hatte damit wenig zu tun…“


-Ende der Aufzeichnungen-

by RookieNightmare (mit freundlicher Unterstützung von Horrorcocktail)

Mehr von Victor und Annabelle erfahrt ihr hier: Victor & Winter - die Chroniken

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