Deutsches Creepypasta Wiki
Advertisement

Schwärze umgibt dich.

Die Geborgenheit der Nacht, die ihre kalten Finger über deine Schultern legt.

Sie ist dir eine vertraute Begleiterin, doch zwischen euch herrscht keine Wärme. Du benutzt sie und sie benutzt dich. Als Werkzeug. Als Mittel zum Zweck.

Mutter hat euch einander vorgestellt. Vor ... das ist nicht wichtig. Seit eurem Handschlag ist Zeit und alles Weltliche bedeutungslos.

Was zählt, ist deine Mission – deine Funktion – der Auftrag mit dem Mutter dich auf deinen Weg geleitet, ihr Trachten zu erfüllen. Den übergeordneten Willen der Nacht, dem sich ein jedes Leben zu beugen hat.

Und es beugt sich. Nur allzu sehr ist es sich der Tatsache gewahr, dass es unerwünscht ist. Die finsterste Stunde gebührt nicht den schlagenden Herzen, nicht der Wärme, die sie durch Adern pumpen.

Sie ist dein allein. Zumindest redest du dir das gern ein. In Wahrheit bist du dir zu bewusst, dass du lediglich geduldet wirst, das ein Fehltritt dich in die Dunkelheit fallen lassen könnte, auf dass sie dich verschlingt und nie wieder freigibt.

Du leistest dir keine Fehler. Mutter hat dir das eingetrichtert. Auf die eindringliche Art. in seltenen Momenten schenkst du ihnen Beachtung, den Zeichen, die deinen Körper zieren. Mahnmale für die Ewigkeit, eingebrannt in Fleisch, um dich zu lehren.

Oh nein, du leistest dir keine Fehler. Schmerz ist bedeutungslos, aber auch eine Ablenkung. Du kannst dir keine Ablenkung erlauben.


Schwärze umgibt dich.

Die Stadt ist menschenleer, verwaist, ausgestorben. Kalt und tot.

Es erscheint dir so, nur weißt du zu genau, dass es nicht zutrifft. Sie sind da, die Bürger, die Lebenden. Verborgen, vermeintlich sicher, hinter ihren Türen, in ihren Zimmern hockend. Sie starren hinaus und sie sehen nichts, bemerken dich nicht, die Gefahr nicht, die sie stetig umgibt. Keine Sorgen umtreiben sie, denn sie sind zu Hause. Im trauten Heim kann ihn nichts geschehen.

Narren.

Du könntest sie eines Besseren belehren, aber das ist nicht dein Weg, nicht der Weg, nach dem Mutter strebt, den einzuschlagen ihr geboten wurde.

Du durchstreifst die Nacht, deine ewige Begleiterin, dein Werkzeug. Sie verhüllt dich, auf deiner Suche. Dem Spähen, nach Beute.

Deine Instinkte sind geschärft, zum Zerreißen gespannt. Sie ruhten so lange. Zu lange. Mutter wird ungeduldig. Die Nacht fordert ein Opfer, ihr verlangt es nach totem Fleisch.

Wie es der Zufall so will, kommt just in diesem Moment ein potenzielles Stück um die Ecke. Der gelbliche Lichtschein einer Laterne bietet dir für einen Augenblick ein klares Bild auf die Gestalt, die kurz darauf wieder in der Dunkelheit verschwindet und mit schnellen Schritten ihres Weges geht.

Es braucht keine ausgiebige Analyse deinerseits, deine Instinkte melden eine klare Botschaft: Geeignete Beute. Die Jagdzeit ist eröffnet.


Schwärze umgibt dich.

Aber das gilt nicht nur für dich. Die Nacht ist eine biestige Geliebte. Sie zu gern ihre Zähne und macht deutlich, dass du in ihren Augen ein Nichts bist.

Ob verdient oder nicht, sie vergibt ihren Segen – oder Fluch – an all jene, die mutig – oder töricht – genug sind, sie zu durchschreiten. Das gilt sowohl für dein potenzielles Opfer, als auch für ... andere Jäger.

Bislang bist du keinem von ihnen begegnet, doch Mutter hat dir eindringlich eingeschärft, sie niemals zu unterschätzen. Die selbsterkorenen Wächter, die strahlenden Helden. Nur dass sie nichts Glanzvolles an sich haben.

Sie durchwandern die Nacht, nutzen sie als Werkzeug, beobachten, harren des rechten Moments ... töten gnadenlos ihre Beute. Sie sind wie du und doch, steht ihr auf gegenüberliegenden Seiten.

Sie sehen sich als rechtschaffen, als Bewahrer des Lebens ... und euch als Monster, als Tiere, als bestialische, blutrünstige Jäger.

Der ewige Kampf zwischen Gut und Böse, nur dass die Grenzen seit Anbeginn der Zeit verschwimmen, sich zu einer grauen Masse vermengen. Moralvorstellungen ... Abbildungen des Zeitgeists. Zitternde Stimmen, die beklagen Opfer zu sein. Anklagende Worte, die Verurteilen, wo subjektive Ungerechtigkeit waltet.

Nichtigkeiten.

Für dich zählt nur der Augenblick. Für dich zählt nur deine Mission.

Die Beute ist schnell, ihre Beine tragen sie zielsicher zum trauten Heim. Sie ist kraftvoll, mutet an, bar jeder Angst zu sein.

Du weißt es besser. Du erkennst die Unsicherheit in der versteiften Körperhaltung – bloß nicht zu viel umschauen; als ob das Nicht-Sehen der Gefahr, sie ihrer Existenz berauben würde. Die Hände stecken in der Hosentasche, die Finger spielen nervös mit dem Schlüsselbund.

Oft genug hast du es beobachtet, um dir gewiss zu sein, dass die Beute nicht fliehen wird. Das tun sie nie.

Dunkelheit, vor allem aber die Kreaturen die darin hausen, legt ihre Krallen um ihre mickrigen Herzen. Sie wissen nur zu gut um die Gefahr, in der sie schweben, aber da ist dieser eine Gedanke, der sie stets zur Torheit verleitet: Nicht ich.

Jeder andere, aber nicht sie. So etwas hört man nur in den Nachrichten. Weder im Familien- noch Bekanntenkreis ist dergleichen je geschehen, warum also sie? Wieso sollte es ausgerechnet ihnen widerfahren? Als ob es eine natürliche Gesetzmäßigkeit wäre, dass den eigenen Leib kein Unheil einzuholen vermag.

Doch die Realität sieht anders aus. Alle müssen irgendwann sterben und bist auserkoren, diesen Vorgang für einige Auserwählte zu beschleunigen.

Beschleunigen. Das Stichwort. Schneller. Der entscheidende Moment rückt näher.

Deiner Beute bist du direkt auf den Fersen. Du schleichst nicht von Schatten zu Schatten, huschst umher, observierst aus den Büschen und hinter Häuserecken versteckt, nein, du bist wie sie. Ein gewöhnlicher Bürger. Ein Spaziergänger in der Nacht.

Zufällig habt ihr den gleichen Heimweg. Was ist schon dabei? Du lässt es sie wissen, trittst beim Gehen fester auf, als nötig, so dass deine Schritte von den Fassaden, die euch umringen widerhallen.

Ihr seid nicht allein, selbstverständlich nicht. Sie sind um euch herum. Zeugen. Besser noch: Helfende Hände, die schnell reagieren, die eingreifen, die Polizei rufen.

Deine Beute ist sicher, zumindest wiegt sie sich in diesem Gefühl.

Närrisch. Selbst wenn die Menschen ringsum nicht alle schon seelenruhig schlafen würden, wie viele Fälle verzeichnet die Geschichte von Opfern, deren qualvollen Schreie selbst nach einer halben Stunde und länger unbeantwortet blieben?

In der Masse liegt kein Schutz, nur Anonymität und gegenseitige Paralyse – jemand wird sich schon kümmern ...

Kein Grund, übermütig zu werden. Wenn es auf eine Sache kein Verlass gibt dann auf die menschliche Natur. Entgegen, von jedem Zynismus, weiß sie immer wieder zu überraschen. Und es gibt nichts, was du mehr hasst ...

Dennoch, euer Spiel beginnt dich zu langweilen. Außerdem wird das Risiko zu hoch, dass die Beute ihr Ziel bald schon erreicht. Du willst Mutter nicht enttäuschen, daher beschleunigst du deine Schritte.


Schwärze umgibt dich.

Nicht nur deine Instinkte sind geschärft, auch deine Sinne reagieren übermäßig auf jeden Reiz. Je näher du der Beute kommst, desto mehr meinst du unter der feinen Note des heranwehenden Parfüms, Angstschweiß zu riechen. Und dieser rasende Rhythmus ... das wild pochende Herz? Jeden Augenblick wird es seinen letzten Schlag getan haben.

Nur noch wenige Meter trennen dich von ihr. Eure Schritte hallen fast im Einklang auf dem Asphalt. Das Tempo deiner Beute verändert sich nicht, aber die Körperhaltung wird zusehends angespannter, die Atmung gezwungen kontrolliert, wodurch sie doch nur stoßweise geht.

Du genießt diese Sekunden. Das solltest du nicht, dessen bist du dir bewusst. Du bist ein Werkzeug. Gut geölte Maschinen empfinden nicht, sie pumpen nur unermüdlich.

Und dennoch, entgegen des penetranten Eintrichterns von Mutter, deine Gefühle nicht nur im Zaum zu halten, sondern sie gänzlich abzutöten, sind es diese winzigen Momente, die sich wie ein endloser Kosmos vor dir ausbreiten. Es sind die einzigen Zeitpunkte, in denen du Leben in dir spürst.

Du verachtest dich selbst dafür.

Das Gefühl ist nicht von Dauer, denn gleich darauf tritt ein Automatismus in Aktion. Dein Körper kennt die Bewegungen, er ruft sie in dem Moment fließend ab, da dein Opfer entscheidet, abrupt stehen zu bleiben – wohl in der Hoffnung, dass du sie einfach überholst.

Du tust nichts dergleichen.

Stattdessen überbrückst die letzten Meter. Bruchteile von Atemzügen vergehen. Du bist direkt hinter ihr, sie will sich umdrehen, da Panik das Ruder ihres Verstandes an sich reißt. Zu spät.

Deine linke Hand schießt vor, packt sie, umschließt ihren Mund, der sich schon zum Schrei geöffnet hat. Kein Laut kommt über ihre Lippen. Sie erstarrt, aber nur kurz. Abwehrreaktionen, du unterdrückst sie mühelos. Deine Muskeln sind gespannt, Stahlbarren, die sich um sie schlingen.

Mit der anderen Hand hast du unlängst weiteres Metall hervorgezogen. Das wenige Licht reflektiert in der blanken Klinge, welche sich spielerisch an ihren Hals schmiegt.

„Psst.“ Der einzige Laut, den du dir gestattest. Sprache ist das Merkmal der Lebenden. Du bist still, wie die Nacht, die dich umgibt, und der Tod, den du bringst.

Irrwitzigerweise beruhigt sich deine Beute. Ein zartes Vögelchen, dass der leisen Hoffnung, die in ihr aufkeimt, Vertrauen schenkt. Er wird mir nichts tun, denk sie.

Ein Moment der vollkommenen Kontrolle, der Macht. Du, der Jäger, hast dir deine Beute zu Eigen gemacht. Sie ist dein allein.

Die kümmerlichen Reste deiner Seele quellen über, deine Instinkte jubilieren ... Wenn Mutter es wüsste, würde sie dich totschlagen.

Aber wie der Vogel in der Hand, ist auch dieser Augenblick fragil, zerbrechlich.

Ein Wimmern aus ihrer Kehle holt dich in die nüchterne Gegenwart zurück. Der Automatismus setzt erneut ein, das Werkzeug verrichtet seinen Dienst.

Du drückst die Klinge fester an den Hals, zeihst sie langsam über die Haut, durch Fleisch und pulsierende Adern. In Schüben stoßen kleine Fontänen aus der klaffenden, sich weiter öffnenden Wunde, das Opfer kämpft dagegen an, versucht sich mit aller Kraft zu wehren. Vergebens.

Du hältst sie fest im eisernen Griff, während Wärme über deine Hand fließt. Röchelnd geht die Beute zu Boden, weil ihre Beine nachgeben. Du gewährst es ihr, hältst sie weiterhin in deinem Arm, lässt sie nicht allein, bleibst bei ihr, bis zum Schluss, indes sie verzweifelt zu atmen versucht, dabei jedoch in ihrem eigenen Lebenssaft ertrinkt.

Es dauert Minuten. Minuten, in denen du dich schutzlos den Widrigkeiten der Umwelt aussetzt, doch diesen Respekt bist du ihr schuldig. So verlangt es der Tribut an die Dunkelheit. Wärme geht zu Kälte über.

Ihr Körper erschlafft zusehends. Sie dämmert dahin, fällt halb auf deinem Schoß liegend, in den ewigen Schlummer.

Du nimmst deine Hand von ihrem Mund. Er spricht nicht länger. Sanft legst du ihr Haupt zu Boden. Tote Augen starren zum sternenbehangenen Nachthimmel hinauf. Sie wirkt friedlich.

Du säuberst gewissenhaft deine Klinge, steckst sie weg, begutachtest den Tatort, prüfst ihn auf unbemerkt hinterlassene Spuren. Da ist nichts. Mutter wird zufrieden sein.

Ein letztes Mal schaust du zu dem Vögelchen, lässt ab von den Überbleibseln deines Hochgefühls. Deine Instinkte beruhigen sich, kühlen ab, Stille kehrt in dein Innerstes. Du bist taub und leer. Ein Werkzeug, ein Mittel zum Zweck, eine Funktion.

Du ziehst von dannen.


Schwärze umgibt dein Opfer.

Advertisement