Deutsches Creepypasta Wiki
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Habt ihr euch nicht schon mal gefragt, wie schlimm es für jemanden sein muss, der auf ewig in seiner Vergangenheit lebt? In einer Vergangenheit, die sich mit grausamen, abstrusen Bildern füllt und die man einfach nur mit mehreren Schlägen auf dem Kopf oder mit einem geraden Schuss in den Schädel für immer aus den Augen nehmen möchte? Wenn nicht, dann wird euch dieses Gefühl in meiner Reihe einen süßen Besuch abstatten. Tretet ein, in eine surreale Welt voller Schmerz, Leid, Schuld und dem Wissen, in einem Leben gefangen zu sein, welches nur noch von verronnenen Memoiren lebt. Einem Leben, in welchem allen zur Hölle verdammten Seelen eine zweite, bessere Chance gegeben wird, wenn sie es denn verdient haben…

Teil 1: Pechschwarz

Teil 2: Diamantenweiß

Teil 3: Rubinrot

Teil 4: Silberglänzend

Teil 5: Scheinendesgold

Teil 6: Tränenblau

Teil 7: Sonnengelb

Teil 8: Giftgrün

Teil 9: Hoffnungsvolleslila

Teil 10: Schmerzendestürkis

Teil 11: Liebendesrosa

Teil 12: Zerstörerischesperlgrau

Teil 13: Verlorenesmagenta - Part 1 (Finale)

Teil 14: Verlorenesmagenta - Part 2 (Finale)

Pechschwarz[]

Vorsichtig näherte sie sich dem glasklaren Fenster, dessen Reinheit nicht durch den kleinsten Fleck von Unreinheit oder völliger Unvollkommenheit zeugte. Sie wünschte sich nur, bei ihr wäre es nicht anders. Doch so war es leider nicht. Sie war ihr eigener Fleck – ein Schandfleck, den sie niemals wieder loswerden würde… Zeitgleich stieg eine undimensionale Wut in ihr auf. Da war so vieles. So vieles, was sie nicht mehr länger hinter einem einfachen Lächeln hätte verstecken können. Ihre Gefühle in diesem Moment zu definieren würde trotz aller Bemühungen noch lange nicht erklären, warum oder ob sie so fühlte, wie sie jetzt fühlte. Schon seit einer ungewissen Zeit durchlief sie diese Gefühle, und doch war es für sie selbst so, als könne sie nichts empfinden. Als hätte sie nie gelernt zu fühlen. Aber wer auf dieser Welt wusste das schon? Jeder, der sie sah, würde sie mit einem verspottenden Blick direkt in die Hölle befördern, vollkommen gleich, wie nett sie auch sein mochte. Dann geschah es. Ohne jegliche Vorwarnung preschte ihre geballte Faust gegen das dünne Glas und hinterließ einen wahren Regen aus unzähligen Splittern, die in der Sonne wie winzige Diamanten glitzerten.

Obgleich Schmerz bedeutend badete sie ihre Hände in jenen, nur um wieder so etwas wie ein „Gefühl“ zu verspüren, während eisige Tränen ihre zarte Wange hinabliefen. Doch diese Pein, welche in dem Verlust ihres eigenen, rubinroten Blutes resultierte, war ihr noch lang nicht genug. Da musste noch mehr sein. Noch mehr, das ihr den Anschein gab zu leben. Sie musste leben! Würde sie nicht leben, wäre ihre einzige Zukunft allein davon bestimmt, als wandelnde Leiche umherzuirren, des Nachts immer tiefer in die Dunkelheit zu versinken und schlussendlich dem erlösenden Wunsch einen Schritt näherzukommen… Doch warum wollte sie es so sehr? Warum bemühte sie sich überhaupt um die Lebensfreude? Waren die verurteilenden Worte, die sie jedes Mal aufs Neue in ihrem Inneren durchlebte, nicht Grund genug, alles aufzugeben? Erneut holte sie dieses Verlangen, etwas vor ihren Augen zu zerschlagen, ein. Das Mädchen selbst wusste nicht, warum sie es verspürte, doch um nes zu befriedigen, schlug sie wieder und wieder mit ihren Händen gegen die gelbe Steinmauer gleich zu ihrer Linken. Die widerlichen, knackenden Geräusche hielten sie nicht davon ab, sich auch den letzten Fingerknochen zu brechen. Mehr und mehr Tränen suchten sich ihre Wege hinab, um mit den Diamanten und ihrem Lebenssaft vereint zu werden.

Kraftlos ließ sich das Mädchen auf den Boden fallen, als sie einen Hauch von Tod in ihrer Nähe wahrnahm. Es roch seltsam bestialisch, jedoch gleichzeitig süßlich, als habe jemand ein Parfüm einer besonders seltenen Sorte aufgetragen. Sie musste sich nicht umdrehen, um zu sehen, wer da stand. Schließlich hatte sie ihn die Nacht zuvor angefleht, am heutigen Tage zu ihr zu kommen und ihr aus dieser ausweglosen Situation zu helfen. Ohne jegliche Vorwarnung hob er sie hoch und trug sie ins Bad. Während sie sich von seinem einzigartigen Geruch nahezu benebeln ließ, warf sie voller Ruhe einen Blick auf sein Äußeres. Sein Gesicht war von einem merkwürdigen Nachtschwarz umgeben. Es wirkte vielmehr wie eine verschleierte Maske, die seine blassgrauen Augen betonen sollte. Zu gern würde sie ihre blutverschmierten und von unaufhörlicher Pein pochenden Finger an sein nichtmenschliches Gesicht legen, dennoch widersetzte sie sich jenem Vorhaben, um ihren Retter nicht zu verärgern.

Erst als er sie an den Rand der Badewanne gesetzt hatte, um ihr zu helfen, sich ihrer Kleidung zu entledigen, bemerkte sie, dass er selbst nichts bis auf ein zerrissenes Gewand anhatte. Dass ihre Badewanne wie aus dem Nichts mit Teer gefühlt war, ignorierte sie für diesen Moment, denn der Anblick des Retters hatte sie ganz und gar in ihren Bann gezogen. Nur langsam ließ sie sich in den heißen, doch wohlig anfühlenden Teer hineinlegen, während sie für ein letztes Mal in sein Antlitz blickte. Seine Mundwinkel zu einem Lächeln verzerrt, drückte er schlussendlich auch ihren Kopf in die langsam immer heißer werdende Flüssigkeit hinein…

Für das Mädchen selbst war es, als würde sie durch loderndes Feuer laufen. Verzweifelt öffnete sie ihren Mund, strampelte mit Armen und Beinen, nur um auf sich aufmerksam zu machen, jedoch war jeder ihrer Versuche vergebens. Denn schließlich war sie es selbst gewesen, die sich jenes Verderben so sehr gewünscht hatte. Viel zu schnell hatte sich der Teer durch ihren aufgerissenen Mund und die Nase in der Lunge gesammelt. Wenn sie ihren Tod doch auf eine weniger qualvolle Weise verrichten könnte, würde sie es um jeden Preis tun, anstatt im klebrigen, pechschwarzen Teer ertrinken zu müssen.

„Expergiscimini nos de somno sugere nigrum, Expergiscimini nos de somno sugere nigrum, Expergiscimini nos de somno sugere nigrum...”, wiederholte der Junge immer und immer wieder, um ihr ein neues Leben zu ermöglichen. So sollte sie eine von ihnen werden. Eine von vielen, die sich schon lange in der Dunkelheit quälten und nur den Selbstmord als Ausweg sahen. Selbst er war einmal in jener schwarzen Qual gefangen, bis auch er einen Dämon gepriesen hatte, der ihm in seiner schmerzvollsten Stunde aushalf. So wie dieses Mädchen nun hatte auch er unter dem kochendheißen Teer seinen unreinen Körper zurückgelassen und jene Schmerzen samt der Dunkelheit zu seinen treusten Verbündeten statt zum Feind gemacht.

Langsam erhob sich nun dieses Geschöpf vor ihm aus ihrem Bad. Zähflüssig flossen die Überreste ihres alten Daseins gemeinsam mit etwas Teer von ihr herab, was einen eigenartigen, matschigen Mix aus flüssiger, verbrannter Haut und der pechschwarzen Flüssigkeit ergab. So hinterließ sie eine stinkende, schwimmende Pfütze in der Badewanne, wie auch auf dem perlweißen Fliesen, als das Mädchen mit vorsichtigen Schritten ausstieg, unter dem festen Griff ihres teuflischen Gehilfen.

Als er sicher war, dass sie aufrecht stand, schnappte er sich ein weißes, großes Handtuch, um seine neue Seelengefolgin abzutrocknen. Das Handtuch um ihren nachtschwarzen Körper gelegt, betrachtete er ihre Augen. Blassgrau mit einer leichten Schwarzfärbung am rechten Sehnerv. Sanft küsste er sie auf ihre noch heiße Stirn, während er mit einer Hand über ihren Kopf streichelte, wie ein Vater sein Kind. „Nun bist du eine von uns…“, flüsterte er, während sich eine einzelne, schwarze Träne entlang seiner ebenso farbigen Wangen bemerkbar machte. Sie brannte angenehm auf seiner Haut. So warm und angenehm wie sein langsam schlagendes Herz.


BlackRose16 (Diskussion) 11:40, 14. Jul. 2017 (UTC)

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