Deutsches Creepypasta Wiki
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Der weiße Raum, in dem ich erwachte, blendete mich derartig, dass ich die Augen sofort wieder fest zukniff, bevor ich sie überhaupt vollkommen geöffnet hatte.

Um mich herum erklangen Stimmen. Unterschiedliche Stimmen. Männlich oder weiblich, jung oder alt. Einige lachten, andere weinten; manch einer zischte sogar entnervt. Doch sie alle hatten eines gemeinsam:

Sie redeten über mich.


Als ich es nach Sekunden oder Ewigkeiten geschafft hatte, mich aufzurappeln, und an dieses sterile Leuchten zu gewöhnen, spürte ich deren Blicke auf mir. Einige bereits hassverzehrt, andere Frühzeitig von Verehrung gezeichnet. Sie betrachteten mich so eingehend, dass ich mich wie ein Insekt unter einer Lupe fühlte. Wie ein ekelhaftes Insekt unter einer Lupe, dass sie gerne tot sehen würden.

Ich begrüßte diese Leute mit Argwohn, und sie taten mir gleich. Obwohl ich ihnen gerne einige Fragen gestellt hätte, hielt ich meinen Mund zu Beginn fest verschlossen.

Suspekt. Das ist wohl das beste Wort, um die anderen zu beschreiben.


Aber da gab es jemanden, der uns als Einheit hier eingesperrt hatte. Jemand, der keinen von uns von dem daneben unterschied.

Woher ich das wissen wollte?

Simpel:

Wir alle trugen die selbe Kleidung. Weiße Hose, weißes Hemd, weiße Socken, weiße Schuhe. Doch als Personen an sich konnten wir nicht unterschiedlicher sein, das wusste ich schon, seit ich sie zum ersten mal gesehen hatte.

Es gab eine einzelne Toilettenkabine, die in einer der Ecken stand. Unsere Klamotten wollten partout nicht dreckig werden, also wechselten wir sie auch nie. Uns wurde regelmäßig Essen gebracht, oder wohl eher zugeschoben. Ich bemerke nie, dass die Tür geöffnet wurde, egal wie sehr ich mich darauf konzentrierte. Es erschien einfach aus dem Nichts - und ich weiß wie das alles klingt.

Aber ich bin nicht verrückt, und im Moment vollkommen bei mir.

Ich fragte irgendwann nach Minuten, Stunden oder Tagen, wo wir seien. "In der Hölle.", erwiderte ein Mann, der später von der freundlichen Frau neben ihm als Cameron vorgestellt wurde. "Mein Brummbär meint es nicht so. Der ist nur schon ziemlich lange hier."


Sie hieß Emily, und schalt ihn dafür, dass er mir so kurz nach meiner Ankunft schon Angst einjagte.

Sie war es auch, die mich fragte, ob ich wirklich alles vergessen hatte. Seltsame Frage.

Aber bitte, ich sitze hier in einem vollkommen farblosem Raum ohne Fenster und mit nur einer Tür, und ich erinnerte mich an gar nichts.

Mein Nicken verwandelte ihr allgegenwärtiges Grinsen in ein trauriges Lächeln.

Doch dann tat sie so, als ob nichts wäre, und fragte gespielt fröhlich wann denn das Essen wieder erscheinen würde, da sie Hunger hatte. Belustigender Weise tauchte unsere Ration beinahe sofort in der Mitte des Raumes auf, woraufhin wir uns alle zum Mahl versammelten.

Sie war unglaublich gutgläubig, und brachte mich immer zum Lachen, obwohl sie wahrscheinlich etwas... dumm war.

Ihr Sohn James dagegen war ein ungewöhnlich cleverer Zeitgenosse. Er war nicht älter als 18, und brabbelte andaurend irgendwelche Formen vor sich hin, die keiner von uns verstehen konnte, und fuhr sich regelmäßig durch die kurzen Haare, als ob das seinen Denkvorgang verschnellern könnte. Er beachtete keinen, abgesehen von mir. Wir unterhielten uns oft über die menschliche Psyche.

Das war wohl das einzige Thema, welches ihm nicht ganz geheuer war.


Diese kleine Familie war wirklich nett, und ich vertraute ihnen nach einer Weile.

Doch das kleine Mädchen, welches mir mit einem schüchternem Lächeln ihren Teddy vorstellte, schloss ich sofort ins Herz. Sie hatte unschuldige, große Augen, und ihre Zöpfe hüpften leicht, egal was sie tat. Es tat mir Leid, dass sie auch hier feststeckte, doch sie schien das nicht zu eng zu sehen. Anscheinend hatte sie niemanden, der sich um sie sorgen könnte.

Wir beide mochten uns sofort, und sie wurde beinahe zu einer Art kleinen Schwester für mich. Ach was, dieses Mädchen hätte meine eigene Tochter sein können. Und ich schwor mir, dass ich uns hier rauskriegen würde.


Es gab noch mehr Leute in diesem Raum, doch sie waren uninteressant. Nur ihre Stimmen drangen ab und zu mal zu mir durch. Mehr dann auch nicht.

Das war aber auch alles, was sich in diesem einzigem, weißen Raum befand, in dem ich irgendwann einmal erwachte. Das war alles, was ich nicht verstand.

Doch irgendwie wusste ich, dass unser relativ angenehmes Leben ohne Ahnung ein Fluch war. Die Tage vergingen, und ich begann einen Schatten zu sehen. Ein großgewachsener, böser Schatten. Ich weiß nicht, woher er stammte, doch irgendwie schien er immer vor mir zu sein. Mich zu beobachten, Zu warten.


Mein ungutes Gefühl bestätigte sich, als die Tür zum ersten Mal geöffnet wurde.

Es war einer der uninteressanten Leute. Er lungerte vor ihr herum, und pulte an seinen Fingernägeln herum, als es geschah.

"Hallo, ich bin ihr behandelnder Arzt.", lachte eine verzerrte und gedämmte männliche Stimme hinter ihm. Der Kerl wandte sich um, und wurde in dieser Sekunde heraus gerissen. Das Echo der daraufhin zugeknallten Tür, und seine Qual erfüllten Schreie vermischten sich zu einem Orchester, das uns alle in Angst versetzte. In dieser Sekunde legte ich meine Hand auf Hannahs Ohren, und murmelte irgendwelche beruhigende Sachen. Man hörte, wie er röchelte, dann erklang eine Art Platschen. So als ob man auf eine Frucht treten würde.

Warum auch immer war die darauf folgende Stille schlimmer.

Und wir schwiegen.

Er war zwar der erste, aber bei weitem nicht der letzte.


Wir wurden nach einer Weile panisch. Versteckten uns in den Ecken. Tage lang verharrten wir so, ohne die Essensrationen zu berühren. Eigentlich hätten wir nicht überleben dürfen, doch irgendetwas wollte uns nicht gehen lassen. Irgendetwas wollte uns leiden sehen.

Hannah, das kleine Mädchen, kuschelte sich immer zitternd an mich. Ich würde so viel tun, um sie hier raus zu bekommen.

Doch ... nach einer Weile wurden die Leute willenlos... Eine Art Gleichgültigkeit begann sich auf dem Gesicht der Uninteressanten zu manifestieren. Als hätte man ihren Verstand gebrochen. Sie litten stumm, brachten für meine Worte nur Verachtung auf.

Und dann gingen sie zur Tür...

Ich begann eine Stimme zu hören, die nirgendwoher kam. Sie war in meinem Kopf, und sagte, dass sie mein bestes wolle, und dass wir beide nicht besonders verschieden seien. Das machte mich krank.


Es erwischte einen nach dem anderen. Uns fünf war es egal. Wir achteten aufeinander. Die anderen konnten verschwinden. So war es, und so würde es immer sein...

Das war, bis auf Camerons Gesicht eine mir nur zu gut bekannte Art von Abwesenheit erschien. Ich weiß nicht wann, oder wie lange das her ist. Ich weiß nur, dass wir schliefen. Wir bemerkten nicht, wie er sich erhob, und zur Tür torkelte, bis...

Die Eisenpforte öffnete sich knarrend, und wir alle schreckten aus dem Schlaf; geweckt durch dieses Geräusch, das gleichsam Horror und Schmerz bedeutet. Er stand zu uns gewandt, hielt eine Hand zum Gruß erhoben...

Cameron hatte nicht einmal genug Zeit, um zu schreien, oder gar zu blinzeln, als er schon aus dem Raum gerissen wurde. Ich hätte mich vielleicht mit Lügen beruhigen können, wenn die Hände der anderen Person nicht blutbefleckt gewesen wären, wenn daraufhin nicht sein Schrei durch die Wand geklungen wäre, und wenn davor niemand verschwunden wäre.

Emily rammte ihre Faust stundenlang an die Tür und brüllte den Namen ihres Mannes. Ihre Hand war nach einer Weile blutig, und ich musste sie zurückreißen, als sich die gottverdammte Tür abermals öffnete, und die Hand versuchte, sie zu erwischen. Sie biss mich, und ich entließ sie, woraufhin sie aus der Tür stürzte, um Rache zu verüben. Ihren Schrei hörte ich nicht, da ich die Hände fest auf meine Ohren presste, und gemeinsam mit Hannah weinte.

Kindisch, ich weiß. Doch ich wusste einfach nicht weiter.

James brabbelte unaufhörlich theologische Fakten vor sich hin, während sie starb, und nachdem sie schon tot war, schwieg er.

Äußerst ungewöhnlich.

Er schien ganz woanders zu sein... Ich konnte es nicht sehen, aber fühlen. Doch irgendwann stellte er sich vor die Tür, nachdem er sich verabschiedet hatte... Ich brachte es nicht übers Herz, ihn aufzuhalten, da er lächelte... und dann war er fort...

Die Stimme versicherte mir, dass ich bald geheilt sein würde.


Der weiße Raum, in dem wir schon seit Tagen, Wochen oder sogar Monaten eingesperrt waren, war nun nur noch von mir und der Kleinen bevölkert. Sie hatte Angst. Ich versuchte sie zu beruhigen. Es funktionierte nicht. Wir kuschelten uns aneinander. Hofften, dass dieser Wahnsinn enden würde...

Dann öffnete sich die Tür, und er kam zum ersten, und zum letzten mal vollkommen herein.


Ein gigantischer Mann mit Nickelbrille und Glatze, und dem wohl abartigstem Grinsen, dass ich je sehen würde. Seine Hände waren klobig, und er rieb sie andauernd aneinander. Ihm gehörte auch die verlockend böse Stimme in meinem Kopf, die mir nunmehr immer schlimmere Dinge ins Ohr flüsterte.

Als er mir Hannah entriss, konnte ich nichts tun. Ich schien eingefroren zu sein, in einer Schockstarre. Unfähig ihr zu helfen. In mir schrie alles danach, diesem Mörder eine reinzuhauen, ihm die Qualen der anderen heimzuzahlen. Doch der Schatten, welcher vorher so teilnahmslos zugesehen hatte, umschlang meinen gesamten Körper, und fesselte mich.

Es war schrecklich zu sehen, was dieses Schwein meiner kleinen Hannah antat. Wie er ihr die langen Fingernägel in den Bauch bohrte. Wie er ihr die Augen auskratzte. Wie er ihr die Unschuld nahm. Wie er lachte, als sie weinte. Wie er ihre Lippen abschnitt. Wie er ihre Hand abtrennte. Wie er ihre Nägel abriss. Wie er an ihren Armen Muster malte, und wie er ihr schließlich die Kehle auschlitzte.

Danach wandte er sich mir zu, und grinste mit dieser blutverschmierten Fratze, während er beinahe feierlich verkündete:

"Die letzte war schwierig. Herzlichen Glückwunsch."

Das war der Moment, in dem ich mich der Schatten entließ, und ich dem Monster in meiner Rage und in meinem Hass den gottverdammten Hals umdrehte.

Als er zu meinen Füßen sank, fiel ihm das Messer aus der Hand. Und es als auf dem Boden aufkam, zerbarst der weiße Raum, welcher einst meine einzige Realität gewesen war, in tausend Stücke.

Das gemütliche wirkende Zimmer, in dem ich nun stand, überraschte mich derartig, dass ich es nicht wagte, zu blinzeln. Zwei braune Sessel standen einander gegenüber, und in der Mitte befand sich ein zerbrochener Glastisch, auf dem der Mörder lag. Doch er sah so anders aus. Sauber, nett... freundlich...

Nichts Böses haftete mehr an ihm. Abgesehen von der Angst, in seinen mittlerweile glasig toten Augen.

Ich suchte verzweifelt nach dem Messer, doch stattdessen fand ich nur ein Klemmbrett, welches verlassen auf dem Boden lag, und meine Wirklichkeit zerschmettert hatte. Was darauf stand brachte mich dazu, einige der Scherben zu schlucken, und dann unter Qualen zu gehen. Ich lächelte.


Patient Thomas Mayer. Dissoziative Identitätsstörung :



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