Deutsches Creepypasta Wiki
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Es ist 19:31 und ich bin die letzte Person, die noch in dem Gang zwischen den grauen Schreibtischen und grauen Computern und grauen Wänden und grauen Fenstern steht. Doch anstatt zu gehen, wie jeder andere normale Mensch, der gerade 8 Stunden wie gehirntot irgendwelchen Anrufern überteuerte und unnötige Versicherungen angedreht hatte, stehe ich direkt vor dem Aufzug, mit einer Box Büroklammern in der Hand, und warte.

Reset. Neustart. Ein Geräusch erklingt: "Pling". Die Türen öffnen sich.

“Gehn`ma?”, fragt Marvin, ein Vollblutbayer mit einem ungeduldigen Unterton in seiner ungewöhnlich tiefen aber angenehmen Tonlage. Er hält die Aufzugtür mit seiner rechten Hand für mich offen, wobei ich einen Blick auf Clara, Helena und Markus erhaschen kann, die hinter ihm stehen, und alle ungefähr so müde aussehen, wie ich mich fühle.

Das erste Mal, als sich diese Situation abgespielt hatte, waren meine Lippen zu einem “Ja” geöffnet gewesen, doch dann erinnerte ich mich daran, dass ich etwas abnehmen wollte. Deswegen hatte ich damals freundlich abgelehnt, um die Treppen zu nehmen.

Jetzt mache ich mir nicht einmal mehr die Mühe, zu antworten. Warum auch?

„Nagut, wenn du willst.“, antwortet Marvin auf das, was ich nicht gesagt habe, und zieht seine Hand zurück, aber bevor sich die Türen schließen können, werfe ich die Box hinein. Sie landet auf einer Ecke und der Inhalt verteilt sich wie eine schmutzige Granate überall auf dem Boden. Der Schatten, welcher von meinen Kollegen unbemerkt alles im inneren des kleinen Raumes zu umwabern scheint, betrachtet mein Schaffen mit einem amüsierten Funkeln in den zwei roten Punkten, die wohl Augen sein sollen, obwohl sie ziellos in der Dunkelheit umherschweben.

Dann schließt sich die Tür, und ich bin wieder alleine.

Keiner im Aufzug hält das für seltsam. Eigentlich bemerken sie es nicht einmal, abgesehen von dem... Vieh, das mich wohl unglaublich unterhaltsam findet. Ich habe dieses kleine Experiment schon so oft durchgeführt, dass es mich nicht mehr im Geringsten wundert, wie scheißegal denen mein Handeln ist. Es überrascht mich auch nicht sonderlich, dass dieselbe Box wieder feinsäuberlich auf meinem Schreibtisch steht, als hätte ich sie nie aufgehoben, und quer durch das Büro geschleudert.

Schließlich enden meine Versuche immer gleich.

Ich habe Türen verbarrikadiert, geschrien, gebettelt, geweint, Dinge geworfen, meinen besten Kumpel Marvin gepackt, und aus dem Aufzug gerissen, aber nichts macht einen Unterschied. Die Barrikaden lösen sich vor meinen Augen in nichts auf, meine Worte werden nie gehört, Dinge tauchen dort wieder auf, wo ich sie her habe, und Marvin steht eine Millisekunde wieder inmitten dieses verdammten Scheißteiles. Inmitten des Schattenviehs. Alles beginnt von vorne. Reset. Neustart. Ich bleibe immer alleine zurück.

Zumindest bis der Aufzug mal wieder ankommt, und Marvin wissen will, ob ich bereit bin, zu gehen, während mich die Kreatur beobachtet, und wartet.

Ich habe keine Kraft mehr; die Ideen gehen mir aus. Telefone, Radios und Feueralarme funktionieren nicht. Alle Computer sind eingefroren. Ich habe eine schlechte Romanze in Claras unterster Schublade gefunden, aber ich weiß, wie sie endet. Schließlich habe ich den Mist mindestens 30 Mal gelesen. Ich kann nicht schlafen, und obwohl mein Körper weder Hunger noch Durst verspürt werde ich immer müder. Mein Gähnen ist beinahe zu meinem Atmen geworden.

Und sobald ich die Treppen nehme, bin ich erst recht dem Wahnsinn ausgesetzt, der mich immer weiter befällt, und jeden rationalen Gedanken stoppt, bevor er mich irgendwie beruhigen kann. Denn jede Treppe führt zum dreizehnten Stock. Jede Stufe zum selben Treppenhaus. Jede Tür in dieses beschissene Büro.

Obwohl wir uns so hoch oben befanden, hatte ich mir ausgemalt, wie ich aus einem der Fenster hinab in die Freiheit klettern würde, aber egal was ich dagegen werfe, wie sehr ich zerre und versuche, sie zu öffnen - die Fenster öffnen sich nicht.

Doch...

Natürlich! Natürlich habe ich eine andere Wahl, nicht wahr? Dem Wahnsinn ist sehr leicht zu entkommen, wenn ich doch nur den verdammten Aufzug nehmen würde! So simpel, so einfach! Wahrscheinlich will dieses seltsame Vieh, dass niemand außer mir sehen kann, gar nichts Böses, oder ist nur irgendeine gottverdammte Einbildung, die mir in meiner Übermüdung Streiche spielt.

Ich erinnere mich noch daran, als ich einmal eine morbide Neugier empfunden, und mich informiert hatte, wie viele Leute jährlich bei Aufzugunfällen draufgingen. Und es waren gerade einmal Fünf. Fünf Stück im ganzen Land. Es ist 100 Mal wahrscheinlicher, dass man im Treppenhaus verreckt, verdammt, warum also mache ich diesem Dreck hier nicht einfach ein Ende?

Und obwohl ich das weiß, möchte ich nicht einsteigen.

Denn ich weiß auch, dass jedes Mal, wenn die Türen von diesem Ding sich schließen, ich die immer leiser werdenden schmerzerfüllten Schreie meiner Mitarbeiter höre, die den Schacht hinaufhallen, und kaum mehr menschlich klingen. Ich weiß, dass die seltsamen Geräusche, welche unisono erklingen, sich so anhören, als würden Glieder von Gelenken und Körperteilen getrennt werden; als würde Fleisch auseinanderreißen und Blut die Wände des grauen Aufzuges verfärben. So als würde Marvin seinen letzten Atemzug röcheln, während dieses Vieh, das keine Gestalt hat, ihn langsam verschluckt, und…

Ich glaube, ich weiß auch, warum es immer 19:31 bleibt.

Warum ich nicht einfach gehen kann.

Warum das alles geschieht.





Weil ich mit ihnen da rein gehöre.




Reset. Neustart. Ein Geräusch erklingt: "Pling". Die Türen öffnen sich.

“Gehn`ma?”, fragt Marvin, ein Vollblutbayer mit einem ungeduldigen Unterton in seiner ungewöhnlich tiefen aber angenehmen Tonlage. Er hält die Aufzugtür mit seiner rechten Hand für mich offen, wobei ich einen Blick auf Clara, Helena und Markus erhaschen kann, die hinter ihm stehen, und alle ungefähr so müde aussehen, wie ich mich fühle. Ich kann es nicht mehr ertragen, sie anzusehen.

Das Vieh scheint mir in die Seele zu blicken, während es eine Art Schliere aus Dunkelheit um meine Kollegen legt, und eine andere zu mir ausstreckt; mich einlädt. Wir alle kennen dieses Vieh. Ich persönlich dachte beizeiten aber, dass es eine Sense bei sich tragen würde.

„Arschloch.“, zische ich.

Aber ich weiß, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist.



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