Deutsches Creepypasta Wiki
Advertisement

Oft liege ich nachts einfach wach und stelle mir diese eine Frage. Die Frage, die man sich zwangsläufig stellen muss, wenn man seine ersten Jahre auf der Welt verbracht und die ersten großen Enttäuschungen erfahren hat. Jeder von uns hat im Leben irgendwann diesen Moment, wenn er das Gefühl hat, von der ganzen Welt verlassen geworden zu sein, wenn die eigenen Tränen alle noch so kleinen Poren des Gesichts ausgespült haben und die Augen so rot und verquollen wie eine alte Tomate sind. Denkt an diesen Tag zurück, an dem ihr zum ersten Mal euren Kopf von eurem durchnässten Kissen gehoben und euch gefragt habt: Wie ist denn das mit diesem Gott?

Wenn es ihn doch gibt, den Heiligsten von allen, den hohen Vater, Schöpfer und Herrscher über diese Welt, wenn er wirklich so sein sollte, väterlich und gut, warum passieren denn so viele schlechte Dinge auf dieser Welt? Wenn es ihn gibt und er doch so herrlich und lieb ist, wieso liegt man denn nun überhaupt da? Natürlich, vielleicht hat man irgendetwas verbrochen, irgendetwas angestellt, eine Sünde begangen, für die man nun büßen muss. Eventuell ist es ja gar nicht so unverdient, dass man selbst auch mal hingefallen ist, es könnte ja sein, dass man einfach an der Chance, sich aufzurappeln und weiterzumachen wachsen soll. Wahrscheinlich ist es doch gar nicht so ungerechtfertigt und nur Teil eines größeren Plans.

Aber ist es erstmals gedacht, so kann der Gedanke auch jederzeit nach freiem Belieben zurückkommen. Denn man fällt wieder, man stolpert erneut und stürzt zurück in diesen Abgrund und fragt sich wieder, was in Gottes Namen das denn nun soll? Ja, es ist Teil eines Pans, ja, man soll daran wachsen, meinetwegen, aber warum gehört es denn überhaupt zu dem Plan, alle drei Meter wieder eine Niederlage zu erleben? Ist man denn wirklich so unvollständig geschaffen, dass ein solches Wachstum noch nötig ist. Und wenn ja, warum ist man denn dann so unvollkommen geschaffen worden? Besteht der Plan vielleicht nur darin, sich am ständigen Scheitern und Aufrappeln der Menschen zu ergötzen, so wie sich ein Kind an einer Ameise labt, die verzweifelt in einer Pfütze zu schwimmen versucht? Soll das die große Vorsehung sein?

Und was ist mit den ganzen Kriegen? Mit den Verbrechern, dem Blutvergießen, dem sinnlosen Morden und den Massenvernichtungen? Wo ist der Sinn hinter den korrupten Politikern, den skrupellosen Konzernbossen, dem Klimawandel und den rassistischen Polizisten? Wozu gibt es denn Vergewaltiger, Warlords, Diktatoren und Terrorzellen? Wie soll denn der Mensch an etwas wachsen, an einem System reifen, das ihn von seiner Geburt bis hinein ins Grab unterdrückt, ohne Gnade und ohne Mitgefühl?

Allerdings, vielleicht ist es gerade diese Erleuchtung Teil des großen Ganzen. Diese Erleuchtung konnte doch genau sein wofür du geschaffen wurdest, warum sollst du denn nicht die Person sein, die durch ebendiese Erkenntnis soweit wächst, dass sie die Welt nach ihrem Gedanken verändern und alle diese Missstände beseitigen kann. Der prophezeite Eine, mit der Macht der Menschheit endlich den Segen und den Frieden zu bringen, nach dem sie sich so bitterlich sehnt. Das bist du. Du kannst das alles schaffen. Du kannst die Welt in eine neue Zukunft führen, du ganz allein, erhellt durch diese Erkenntnis. Was dir vor einigen Momenten noch als ausweglose Zwickmühle erschien, es ist doch auch eine riesige Möglichkeit für dich. Du kannst das schaffen. Aber wenn das nun ein Part der großen Vorsehung ist, dass es an dir liegt, uns in eine neue Welt zu führen, dann bleibt da doch eine kleine Frage offen:

Wieso warst du, der große Auserwählte, dann grade so abgelenkt von der rosigen Beschreibung deiner Zukunft und deiner Macht, dass du den Einbrecher gar nicht bemerkt hast, der leise wie ein Mäuschen in dein Zimmer geschlichen ist und jetzt grad seine Pistole auf deinen Hinterkopf richtet?

von Duschvorhang

Advertisement